Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die 13 1/2 Leben des Käptn Blaubär

Die 13 1/2 Leben des Käptn Blaubär

Titel: Die 13 1/2 Leben des Käptn Blaubär Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Moehrs
Vom Netzwerk:
Wiederholungen, daran hatten sie sich gewöhnt. Was sie schreckte, war die Abwechslung. Besonders die Abwechslung, die die Gimpel und ich ihnen gebracht hatten.
    Das Fatom machte den traurigsten Eindruck, den je eine Kreatur (wenn man Fatome zu den Kreaturen zählen darf - zumindest sind sie Halbkreaturen) auf mich gemacht hatte. Wir hatten ihm und den anderen rechtmäßigen Bewohnern von Anagrom Ataf das einzige genommen, was ihnen geblieben war - ihre Wiederholungen. Es war völlig unmöglich, immer wieder dieselbe Tür aufzumachen, wenn Gimpel durch sie aus und ein spazierten; wie konnte man die Straße immer wieder an derselben Stelle überqueren, wenn sich dort ein Haufen Gimpel über die Müllentsorgung der Stadt stritt; wie konnte man immer wieder dasselbe Nickerchen machen, wenn überall Kamedare blökten?
    Das Leben in Anagrom Ataf war zum Alptraum geworden. Die Fatome hatten sich verkrochen, wo es nur ging. In der ständigen Angst entdeckt zu werden, versteckten sie sich am Tage (nicht gut genug, um nicht doch hin und wieder gesehen zu werden) und warteten auf die Nacht, in der sie wenigstens im Dunkeln ihre geliebten Tätigkeiten wiederholen konnten.
    Das Fatom stöhnte spiegelverkehrt, was sich so anhörte, als hätte es aus Versehen eine Motte verschluckt. Ich versprach ihm - mehr fiel mir im Moment nicht ein -, eine Bürgerversammlung einzuberufen. Die Gimpel sollten sich mit den Halbgeistern treffen und ordentlich aussprechen. Ich würde dabei den Dolmetscher abgeben.
    Die Bürgerversammlung von Anagrom Ataf war wahrscheinlich eine der außergewöhnlichsten politischen Veranstaltungen der zamonischen Geschichte. Sämtliche Fatome und Gimpel waren auf dem Marktplatz erschienen und musterten sich mißtrauisch. Ich hielt eine kleine Rede, in der ich an Toleranz, Bürgersinn und gute Nachbarschaft appellierte, in beiden Sprachen, einmal normalzamonisch und einmal fatamorganisch. Es gab keinen Applaus.
    »Was sollen wir mit Nachbarschaft, wenn wir nichts zu essen haben?« rief ein Gimpel.
    Es gab in der letzten Zeit Gerüchte, daß die Gimpvorräte zu Ende gingen. Um Gimp zu ernten, muß man wandern. Diese Pflanze wächst eher einzelgängerhaft, sie läßt sich nicht züchten, kultivieren oder in großen Mengen anpflanzen, man muß sie sammeln, wo man sie findet.
    »Was sollen wir mit Bürgersinn, wenn unsere Häuser einfach verschwinden?«
    Die Halbstabilität von Anagrom Ataf war wirklich ein Problem, das schwer in den Griff zu bekommen war. Ich hatte ein grundsätzliches Benutzungsverbot für Betten erlassen, die sich in mehr als einem Meter Höhe befanden. Aber das war eher eine kosmetische Maßnahme als eine echte Lö- sung.
    Dann waren die Fatome an der Reihe. Eines von ihnen, der eigentliche Bürgermeister von Anagrom Ataf, hielt eine lange Rede voller Beschwerden, die ich den Gimpeln übersetzte. Er sagte, wir hätten keine Manieren und kein Recht, Anagrom Ataf zu bewohnen, wir brächten alles durcheinander, ja, wir hätten ja nicht einmal eine Ahnung davon, wie man richtig wohnt.
    Die Gimpel antworteten, sie seien sehr wohl berechtigt, zur Bestätigung zeigten sie die goldenen Gimp-Gebote vor und beriefen sich insbesondere auf Gebot Nummer zwölf.
    Die Positionen konnten gegensätzlicher nicht sein. Die Bürgerversammlung geriet zum Fiasko. Der Bürgermeister wiederholte seine Rede immer wieder von vorne, Fatome und Gimpel schnatterten durcheinander, ohne einander zu verstehen - einen solchen Tumult hatte die Stadt sicher noch nie gesehen. Ich begriff, daß es so leicht nicht zu einer Einigung kommen würde. Hier mußten ganz andere Konsequenzen gezogen werden.
    Ich bat um Ruhe.
    »Ich hab's!« verkündete ich. »Wir ziehen aus.«
    Begeisterter Beifall der Fatome, Buhrufe der Gimpel.
    »Wo sollen wir denn hin?« rief ein Gimpel. »Anagrom Ataf war unser Ziel. Wohin sollen wir wandern, wenn wir kein Ziel haben?«
    Das war eine berechtigte, gute und aus dem Stegreif unmöglich beantwortbare Frage. Ich beantragte eine Vertagung der Versammlung. Ich mußte nachdenken.
    Tagelang wanderte ich in der Wüste herum und zermarterte mir das Hirn. Ich könnte die Gimpel auffordern, mit mir nach Atlantis zu gehen, aber das war mein Ziel, nicht ihres. In einer Stadt, das hatte die Erfahrung von Anagrom Ataf gezeigt, hatten Gimpel nichts verloren.
    Bis ich eine Lösung gefunden hatte, mußte das Leben in Anagrom Ataf weitergehen. Die Fatome nahmen ihre Wiederholungen wieder auf. Argwöhnisch von den Gimpeln dabei

Weitere Kostenlose Bücher