Die 39 Zeichen 02 - Mozarts Geheimnis
sein.«
Die Miene des Kapitäns war ausdruckslos, als er Amy und Dan nach oben schleifte. Sein eiserner Griff erinnerte Dan schwer an seine Begegnungen mit der Holt-Familie.
Inzwischen war die Nacht hereingebrochen und Venedigs Lichter funkelten. Sie fuhren immer noch auf dem Canale Grande, langsam, etwa zehn Meter vom Ufer entfernt.
»Kommen Sie, Mister«, bettelte Dan. »Ersparen Sie uns das.« Der Mann zeigte keinerlei Emotion. »Ich habe meine Befehle.« Und mit einem einzigen Ruck wurde Dan hochgehoben und flog über die Reling. Schnell zog er seine Knie an und machte eine Bombe ins Wasser. Sekunden später traf Amy ein paar Meter weiter um sich schlagend und keuchend auf der Wasseroberfläche auf.
Keiner von beiden war während der Zerstörung des Motorboots bei Bewusstsein gewesen, daher konnte sich auch keiner mehr daran erinnern, wie sich das Wasser anfühlte. Es war eiskalt und zwang ihre Herzen dazu, in Presslufthammergeschwindigkeit zu schlagen. Doch mithilfe des dadurch ausgelösten Adrenalinschubs kämpften sie sich ans Ufer und krabbelten die Kaimauer hinauf.
Dan schüttelte sich wie ein nasser Hund. »Okay, lass uns die Tagebuchseiten holen.«
»Das können wir nicht.« Amy schlang die Arme um sich und versuchte, ihr Zittern zu kontrollieren. »Wir werden die 39 Zeichen nicht finden, wenn wir beide vorher an
Unterkühlung gestorben sind. Wir brauchen Nellie und trockene Klamotten.«
Dan warf der davontreibenden Jacht einen giftigen Blick hinterher. »Aber eine Panzerfaust wäre jetzt auch was Schönes.«
»Reg dich nicht über die Kobras auf. Wir rächen uns am besten an ihnen, indem wir gewinnen.«
»Da hast du wohl recht«, stimmte Dan ihr zu. »Aber wo sollen wir nach Nellie suchen? Ich habe den Eindruck, dass es gefühlte 100 Jahre her ist, dass wir in diesem Plattenladen waren.«
»Das ist egal«, erwiderte Amy fest. »Sie ist eine treue Seele. Sie geht ohne uns nirgendwohin. Der Laden hieß Disco Volante. Ich hoffe, dass die Wassertaxifahrer davon schon mal gehört haben.«
Dan griff in seine triefende Tasche. »Ich hoffe, die Wassertaxifahrer nehmen auch feuchte Euros.«
Noch niemals zuvor hatte sich Nellie Gomez solche Sorgen gemacht.
Sie ließ sich auf eine hölzerne Bank fallen und sah mit zusammengekniffenen Augen in das schwache Licht einer Straßenlaterne. Der Verkäufer des Plattenladens, der von ihrem kleinen Parcours fix und fertig war, hatte bereits vor einer Stunde abgesperrt und war heimgegangen. Nellie, die den Platz vor dem Laden überwachte, hatte er nicht bemerkt.
Wo waren Amy und Dan? Wie konnten zwei Kinder in
einen Plattenladen hineingehen und nie wieder herauskommen?
»Mrrp«, kommentierte Saladin, der es sich in ihrem Schoß bequem gemacht hatte.
»Du hast leicht reden«, sagte Nellie mit zitternder Stimme. »Du bist für diese beiden Irren nicht verantwortlich.«
Bald würden es vier Stunden sein - vier Stunden, in denen sie Zeit gehabt hatte, die eine Frage immer wieder durchzukauen: Wann war der Zeitpunkt gekommen, die Polizei zu rufen?
Sie hatten niemals darüber geredet, weil es stets undenkbar war. Polizei bedeutete, entdeckt zu werden, denn die würde die Kinder früher oder später in den Gewahrsam der Sozialbehörden von Massachusetts verfrachten. Und dann wären sie definitiv aus dem Rennen. Doch nun begann es so auszusehen, als könnte die Polizei auch Rettung bedeuten, denn wenn es jetzt um das Leben der Kinder ging, war es ganz egal, wo sie danach hingebracht wurden.
»Warte hier«, wies sie Saladin an, als ob der Kater eine Wahl gehabt hätte. Dabei hatte Nellie noch überhaupt keine Ahnung, was sie nun tun sollte. Wahrscheinlich würde es darauf hinauslaufen, einen Pflasterstein durch das Fenster zu werfen und den Laden zu durchsuchen. Immerhin erhöhte das die Wahrscheinlichkeit, gleich in zwei europäischen Städten statt nur in einer verhaftet zu werden.
Als sie vor das Geschäft trat, bogen zwei dunkle Gestalten
um die Ecke. Sie duckte sich in einen Hauseingang und beobachtete die Neuankömmlinge, die sich langsam und müde dahinschleppten. Ein Junge und ein Mädchen …
Als sie Amy und Dan erkannte, stürmte sie zu ihnen und drückte sie fest an sich. »Ihr seid es - Gott sei Dank! Ich hatte gerade vor - igitt, ihr seid ja ganz nass.«
»Das ist eine wirklich lange Geschichte«, meinte Amy erschöpft. »Aber lass uns erst mal in trockene Klamotten schlüpfen; wir müssen dann nämlich noch etwas holen.«
»Das erklären wir dir
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