Die 39 Zeichen 05 - Die Rache der Romanows
sehen als von hier. Los!«
Amy packte als Erste das Seil und zog sich an der Mauer hoch bis sie den breiten Fenstersims erreicht hatte.
»Beeil dich, Dan!«
Amy schob das Fenster wie eine Tür auf und glitt schnell hindurch. Dann lehnte sie sich heraus, um auf vorbeifahrende Autos zu achten, während Dan sich heraufzog.
»Scheinwerfer!«, rief sie plötzlich, packte Dan am Pullover und zerrte ihn ins Innere. Dan verlor darüber das Gleichgewicht, purzelte auf den Marmorboden und verdrehte sich dabei sein Knie. Er heulte vor Schmerz auf.
»Psst!«, mahnte Amy und schloss das Fenster. »Vielleicht gibt es hier Sicherheitspersonal.«
»Was soll ich denn machen, wenn du mir fast den Hals brichst!«
Dan stand auf und versuchte, sein Knie zu belasten. »Das gibt einen monstermäßigen blauen Fleck, aber es funktioniert noch. Wohin müssen wir?«
»Zum Hauptgang im Ostflügel«, erklärte Amy. »Hier entlang.«
Amy hatte den Reiseführer studiert und sich den Standort der Rasputin-Ausstellung gemerkt. Sie liefen durch dunkle Räume voller kostbarer Kunst und edler Möbel.
»Diese Fürsten hatten wohl einen Hang zu schönen Dingen«, bemerkte Dan.
»Die Jusupows waren bekannt für ihren guten Geschmack. Sie haben Millionen für Restaurations- und Wiederaufbauarbeiten ausgegeben.«
Als sie über eine weite Treppe mit einem Teppich aus dunkelrotem Samt nach unten liefen, hörte Amy hinter ihnen ein dumpfes Geräusch.
»Hast du das gehört?«, fragte sie.
»Ich glaube, uns ist jemand gefolgt. Schnell!«
Amy und Dan hasteten die Stufen hinunter und bogen rechts um die Ecke. Sie durchquerten einen hohen Bogengang, wandten sich dann nach links und landeten schließlich vor einem mit Seilen abgetrennten Flur.
»Hier ist es«, sagte Amy. Sie duckte sich unter dem Seil hindurch und Dan folgte ihr. Nach einer weiteren Linksbiegung erreichten sie einen hohen, schwach beleuchteten Saal.
Es war, als seien sie in die Vergangenheit gereist, um einem Mord beizuwohnen. Jedes Detail aus Rasputins Todesnacht war in diesen Räumen nachgestellt. Es gab Figuren, Bilder und vor allem zwei Ausstellungsräume mit lebensgroßen Wachsfiguren.
»Da sitzt er«, verkündete Amy. In einem der Zimmer saß Rasputin an einem Tisch und aß den vergifteten Kuchen, den man ihm in jener Nacht serviert hatte.
»Komm, Dan. Der Hinweis führt zu Rasputin. Ich durchsuche seine Taschen.«
»Und ich schau unter dem Tisch nach.«
Amy holte tief Luft und griff dann nach dem schweren schwarzen Kuttenstoff. Ihr Gesicht war nur einige Zentimeter von Rasputins Wachskopf mit dem buschigen Bart und den starr blickenden Augen entfernt.
Da ertönte hinter ihr eine tiefe russische Stimme: »Es war ein schwerer Fehler, hierherzukommen.«
Dan richtete sich vor Schreck unter dem Tisch auf und schlug so heftig mit dem Kopf gegen die Platte, dass das Scheppern der Teller und Tassen die Stille durchbrach.
»Kommt da heraus, beide.«
Dan erkannte die Stimme sofort. »Irina! Was machst du hier?«
»Ich lasse mich nicht in meinem eigenen Land von irgendwelchen dahergelaufenen Kindern überlisten.«
Dan sah zu Amy und bemühte sich erfolglos in ihrem angsterfüllten Gesicht zu lesen. Hast du etwas gefunden?
»Los, und jetzt zeigt ihr mir, was ihr da gefunden habt«, forderte Irina. »Ich habe eigentlich nicht vor, euch wehzutun.«
Sogar im Halbdunkel konnte Dan erkennen, dass
Irina wie gewöhnlich übel gelaunt war. Er traute ihr nicht über den Weg.
»Ich glaube, wir bleiben lieber hier stehen, falls es dir nichts ausmacht«, erwiderte Amy.
»Wie ihr wollt. Aber ihr geht nicht weg, ohne mir vorher einige Fragen beantwortet zu haben. Und ihr gebt mir, was ihr gefunden habt.«
Die Karte von NRR hatte Amy, und Dan fragte sich, wann seine Schwester sie Irina aushändigen würde. Worauf wartet sie nur?
»Wer hilft euch?«, wollte Irina wissen. Sie spielte vielsagend mit ihren Fingernägeln und Dan durchzuckte es bei dem Gedanken an die darunter installierten kleinen Giftspritzen.
»Niemand hilft uns. Wir sind halt schlauer als du«, meinte Dan, den Blick auf die erstarrte Amy gerichtet.
»Meint ihr, ich habe die Schlange nicht gesehen? Meint ihr, ich habe nicht alles mit angehört, was ihr im Zug gesagt habt? So schlau bist du nun auch wieder nicht, Bürschchen.«
Dan fuhr zusammen. Sie spioniert uns also schon seit Wolgograd hinterher?
»Ihr glaubt also ernsthaft, dass euch jemand helfen möchte? Lächerlich!«, fuhr Irina fort. »Das ist eine Falle!
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