Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die 39 Zeichen 09 - Ruf der Karibik

Die 39 Zeichen 09 - Ruf der Karibik

Titel: Die 39 Zeichen 09 - Ruf der Karibik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linda Sue Park
Vom Netzwerk:
Hemd, das ihm sehr gut stand. Und dann noch dieser jamaikanische Akzent, echt cool.
    Gar nicht schlecht , dachte Nellie.
    »Im Moment ist es eher schlecht«, antwortete sie gelassen und deutete mit dem Kopf in Richtung Dan und Amy. »Aber« – sie lächelte, legte den Kopf schief und blinzelte – »vielleicht später?«
    Dan steckte sich hinter Nellies Rücken gestenreich den Finger in den Hals.
    »Tut mir leid, aber es muss jetzt sein«, erwiderte Lester.
    Nellie sah ihn missbilligend an. »Ich hab zwar später gesagt, aber ich glaube, ich überlege es mir gerade anders.«
    Er hob die Hände und trat einen Schritt zurück. »He, bleib locker, Schwester. Ich bin nur der Bote. Jemand möchte gerne mit dir sprechen.«
    Nellie runzelte die Stirn. Wer sollte das wohl sein? McIntyre oder dieser andere Typ würden einfach anrufen oder mailen, sie würden nie einen Mittelsmann schicken …
    Sie versuchte, ihre Verunsicherung durch harsche Worte zu überspielen. »Wenn jemand mit mir reden will, kann er das gerne hier tun, so wie du«, erklärte sie. »Ich gehe doch nicht einfach mit einem Unbekannten mit, um mit einem weiteren Unbekannten zu reden! Und schon gar nicht, wenn ich nicht weiß, wohin und warum ich mitgehen soll.«
    Lester schwieg einen Moment. Dann meinte er: »Na schön, ich verstehe, dass dich das nervös macht. Wie wär’s damit: Wir verlagern es auf die Straße. Da sind überall Leute und du wirst sehen, da ist es absolut sicher. Du kannst vor dem Haus warten, bis sie kommt, um mit dir zu reden. Sie ist zwar alt, aber das schafft sie noch. Einverstanden?«
    Nellie wies mit dem Kinn auf Dan und Amy. »Ohne die beiden gehe ich nirgendwo hin.«
    Lester zuckte die Achseln. »Sie hat nichts von anderen gesagt. Also von mir aus.«
    Sie folgten dem jungen Mann in eine kleinere Straße. Wie er versprochen hatte, herrschte hier reges Treiben. Er blieb schließlich vor einem kleinen Bungalow stehen, dessen einst rosafarbene Fassade stark verblichen war. Dann führte er sie über flache Betonstufen auf die Veranda.
    »Wartet hier«, sagte er. Er öffnete die Fliegengittertür und trat ins Haus. Drinnen rief er: »Grandma? Hier ist eine dawta für dich.«
    Dan und Amy sahen sich verwundert an. »Daughter? Welche Tochter?«, fragte Dan.
    »Das ist Patois«, erklärte Nellie. »Mit Touristen sprechen die Jamaikaner Standardenglisch, aber untereinander sprechen sie Patois. Dawta heißt so viel wie Tochter, aber es kann auch ›junge Frau‹ bedeuten.«
    »Woher weißt du das?«, staunte Amy.
    »Ich habe in Boston einige jamaikanische Freunde«, erzählte Nellie. »Wir sind zusammen in Reggae-Clubs gegangen.« Es war die Wahrheit, aber Amy wirkte dennoch nicht ganz überzeugt.
    »Was ist dein Problem?«, brauste Nellie auf. »Glaubst du wirklich, ich hätte alle Sprachen der Welt erlernt, nur um euch auszuspionieren! Und selbst wenn ich das versuchen würde, denkst du ernsthaft, jamaikanisches Patois stünde da an erster Stelle?«
    Sie bekam natürlich keine Antwort. Amy hatte ständig Angst vor ihrem eigenen Schatten … wer hätte gedacht, dass sie so stur sein könnte?
    Die Tür ging auf und eine sehr alte Frau kam zum Vorschein. Sie war knochig, dunkelhäutig, grauhaarig und trug eine Brille, durch die sie Nellie ausdruckslos ansah und schließlich nickte.
    Dann warf sie einen Blick auf Dan und schließlich auch auf Amy. Ihre Augen leuchteten auf.
    »Ha!«, rief sie.
    Alle drei zuckten zusammen.
    »Siehst aus wie Grace!«, sagte die Frau zu Amy und lachte herzlich.
    Nellie war jetzt endgültig verwirrt. Lester hatte gewollt, dass sie mitging, aber die alte Dame schien Amy zu erkennen. Was ging hier vor?
    »Hätt ich wissen müssen.« Die Frau schüttelte den Kopf, immer noch lächelnd. »Du gleichst Grace sehr. Diese Augen. Oh ja, ja.«
    Amy räusperte sich. »Sie … Sie kannten meine Großmutter?«
    »Ja, die kenne ich. Eine gute Frau. Wie geht es ihr?«
    Bevor seine Schwester überhaupt den Mund aufmachen konnte, antwortete Dan. »Unsere Großmutter ist gestorben«, sagte er beinahe tonlos. »Im August.«
    Das Strahlen schwand aus den Augen der alten Frau. »Ach, Junge. Das tut mir leid. Das wusste ich nicht.«
    Plötzlich herrschte gespenstische Stille.
    »Schon gut«, unterbrach Nellie das peinliche Schweigen. Nichts war gut, aber was sollte man in einer solchen Situation schon sagen?
    »Ja«, meinte die Frau. »Da kann niemand was machen, wenn seine Zeit gekommen ist.« Sie hielt kurz inne. »Ich heiße Alice

Weitere Kostenlose Bücher