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Die 50 Groessten Luegen Und Legenden Der Weltgeschichte

Titel: Die 50 Groessten Luegen Und Legenden Der Weltgeschichte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Ingmar Gutberlet
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zum Verzehr getöteter Passagiere gezwungen sehen, seien es Fälle von Menschenfresserei zum perversen Lustgewinn. Schön-schaurig wird das Ganze, wenn der Feinschmecker und Massenmörder Hannibal Lecter im Film seiner Lieblingsbeschäftigung nachgeht und sich an vollendet zubereitetem Menschenfleisch labt. Noch viel länger hat die Szene aus Robinson Crusoe , in der der Gestrandete seinen künftigen Gefährten Freitag vor Menschenfressern rettet, unseren Horizont geprägt. Denn abgesehen von modernen Extremfällen sind Kannibalen in unserer Vorstellung vormoderne Völker, die meist aus rituellen Gründen, aus Rache oder zu Nahrungszwecken andere Menschen verspeisen.
    Der Begriff »Kannibale« stammt aus der Zeit des Entdeckers Kolumbus. Als der 1492 Indien erreicht zu haben glaubte und stattdessen auf einer Insel in Mittelamerika gelandet war, berichteten ihm die Einheimischen, ihre Nachbarn seien Menschenfresser. Aus deren Name »Kariben« leitet sich die Bezeichnung Kannibale ab.
    Nach der Entdeckung Amerikas faszinierten Berichte aus der Neuen Welt die neugierigen Europäer. Von sagenhaften Schätzen,unbekannten Pflanzen und unendlicher Grausamkeit war die Rede. Außer dem begehrten Gold war es vor allem die Nachricht von menschenfressenden Stämmen und deren Handlungen, die bei den kultivierten Europäern auf reges Interesse stieß. Die Menschen der Alten Welt waren im 16. Jahrhundert nun einmal kaum weniger sensationslüstern als die Fernsehzuschauer des 21. Jahrhunderts. Der amerikanische Kontinent hatte sein Image weg. Für die allegorische Darstellung des vermeintlich barbarischen Kontinents bemühten Künstler fortan bevorzugt eine nackte Menschenfresserin als Sinnbild Amerikas.
    Die Kunde von menschenfressenden Völkern gibt es nicht erst seit der Entdeckung Amerikas. Schon in der Antike machten Berichte von fremden Völkern außerhalb der eigenen Kultur Kannibalismus zum Thema. Der griechische Geschichtsschreiber Herodot beschreibt solche Völker am Rande der Welt in Asien, sein mittelalterlicher Kollege Adam von Bremen machte sie weit im Norden aus. In der griechischen Mythologie ist es Orpheus, der den Menschen verbietet, ihresgleichen zu verspeisen, und ihnen mit Ackerbau und Schrift Kultur beibringt. Homer lässt Odysseus dem menschenfressenden Kyklopen entrinnen, und im Alten Testament droht Gott den ungehorsamen Menschen, er werde sie zu Kannibalen machen. Allen diesen Berichten liegt ein einheitliches Muster zugrunde: Barbarische Völker ohne Kultur haben keine Hemmungen zu tun, was zivilisierte Völker als Tabu begreifen, nämlich Artgenossen zu essen.
    Das Mittelalter setzte diese Tradition fort. Allerdings wurden nun auch Bevölkerungsgruppen des eigenen Sichtkreises kannibalischer Praktiken verdächtigt: So wie den frühen, noch geächteten Christen grausame Riten vorgeworfen worden waren, beschuldigten sie nun, zu Macht und Ansehen gekommen, ihrerseits andere Gruppen, Tabus wie das des Kannibalismus zu brechen: Ob Heiden, Juden, Ketzer oder Hexen – alle werden alsMenschenfresser stigmatisiert. Gerade das angstbesetzte Mittelalter schrieb allem Fremden stereotyp bestimmte Eigenschaften zu, die als besonders sündhaft galten. Selbst im Streit zwischen Katholiken und Protestanten um den rechten Glauben zur Zeit von Reformation und Glaubenskriegen wurde der Kannibalismusvorwurf mit Vorliebe bemüht.
    Mit den Erzählungen von menschenfressenden Völkern in der Neuen Welt tauchten also keine gänzlich neuen Nachrichten auf. Sowohl den Verfassern der Berichte als auch ihren Lesern waren die Schreckensbilder wohl vertraut – und sie passten vorzüglich in den Gegensatz von Gut und Böse beziehungsweise von Zivilisation und Barbarei. Kolumbus wusste, was die antiken Schreiber über die schrecklichen Völker »am Rande der Welt« erzählt hatten, vieles davon vermeinte er bei seiner Fahrt wiederzuentdecken. Augenzeuge kannibalischer Handlungen wurde Kolumbus jedoch nicht, aber – von den Berichten anderer abgesehen – er und seine Männer stießen in den Hütten von Einheimischen immerhin auf Menschenknochen.
    Es waren zunächst aber nicht Aufzeichnungen von Amerikareisenden, die in Europa eine breite Leserschaft über Menschenfresser in der Neuen Welt informierten, sondern Berichte von Autoren, die gar nicht selbst dort gewesen waren. Immer voreiliger wurden die Urteile und immer sensationslüsterner die Darstellungen, von denen viele im Auftrag der spanischen Krone erstellt wurden. Der bloße

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