Die 50 Groessten Luegen Und Legenden Der Weltgeschichte
die Vorstellung der Entdeckung Amerikas ausgesprochen westlich und letztlich überheblich. Als europäische Seefahrer im Atlantik vor Europa unbewohnte Inselgruppen wie die Kapverden, Madeira oder die Azoren betraten, konnten sie sich mit Fug und Recht als Entdecker bezeichnen, weil sie sich als die ersten Menschen wähnten, die einen Fuß auf diese Inseln setzten. Amerika aber war längst bewohnt, und daher waren es streng genommen die Indianer, die den Kontinent vor mehr als 10
000 Jahren entdeckt und besiedelt hatten, nachdem sie auf dem damals noch existierenden Landweg von Europa herübergekommen waren.
Wenn wir jedoch von derart prinzipiellen Erwägungen großzügig absehen und uns auf die Entdeckung Amerikas für die Menschen des christlichen Zeitalters konzentrieren − ist dann Kolumbus unser Mann?
Kolumbus war nicht der erste Europäer, der nach Amerika kam. Um das Jahr 1000, also rund fünf Jahrhunderte vor Kolumbus, segelte bereits Leif Erikson, der Sohn Eriks des Roten, von Grönland aus, das die Wikinger zwei Jahrzehnte zuvor entdeckt hatten, in Richtung Westen und landete an der Nordostküste Nordamerikas. Wo genau das war, ist umstritten, aber höchstwahrscheinlich sahen sich die Wikinger im Norden Neufundlands um. Dort wurden in den Sechzigerjahren ihre Siedlungsreste ausgegraben. Die Informationen darüber sind jedoch spärlich − wir wissen lediglich von der Existenz dieser Siedlungen, aber auch von ihrer vermutlich nur wenige Jahrzehnte später erfolgten Aufgabe. Zudem war den Wikingern aus Skandinavien ebenso wenig wie Christoph Kolumbus klar, dass sie einen bisher unbekanntenKontinent entdeckt hatten. Möglicherweise erfuhr der Genuese auf seiner Reise nach England, Irland und Island 1477 von diesen Fahrten der Wikinger, aber das ist völlig ungewiss.
Insofern können also die Wikinger als die eigentlichen Entdecker Amerikas für Europa gelten. Aber dass wir so wenig über ihre Unternehmungen in Neufundland wissen, zeigt auch, wie bedeutungslos ihre Entdeckung für die »Alte Welt« letztlich blieb. Das gilt ebenso für weitere mögliche Fahrten von Europa nach Amerika vor Kolumbus, deren Authentizität umstritten ist − sie blieben folgenlos. 1492 dagegen waren die Europäer in einer günstigen Situation, um über ihren Kontinent hinauszugreifen: Sie waren vom Stand der Wissenschaft, der Wirtschaft und der Technik her gesehen ebenso in der Lage, aus dieser Entdeckung etwas zu machen, wie sie die politischen, ideologischen und ideellen Voraussetzungen besaßen, sich den neuen Kontinent einzuverleiben. Kurz gesagt: Das Entdeckungsfieber ergriff Europa.
Der Biochemiker und Nobelpreisträger Albert Szent-Györgyi definierte einmal eine Entdeckung als »etwas zu sehen, was schon jeder gesehen hat, aber zu denken, was noch niemand dachte«. Zwar hatte noch nicht jedermann Amerika gesehen, als Kolumbus in der Karibik von Bord ging, aber er war nicht der erste Europäer auf amerikanischem Boden. Und trotzdem trat mit Kolumbus Amerika in die Weltgeschichte ein − mit allen positiven und auch negativen Folgen. Und weil das Jahr 1492 den Aufbruch Europas in die Moderne markiert und die Geschichte der Welt für alle Zeiten veränderte, hat der italienische Seefahrer den Titel des Entdeckers Amerikas eben doch verdient. Da kann man großzügig darüber hinwegsehen, dass Kolumbus zeitlebens davon überzeugt war, den Seeweg nach Indien gefunden zu haben. Diesen Irrtum büßt der Genueser damit, dass er die Rolle als Taufpate der »Neuen Welt« nicht übernehmen durfte. Der Name Amerika geht auf den Florentiner Seefahrer AmerigoVespucci zurück, der nach seinem Landsmann und ebenfalls im Auftrag der spanischen Krone den Atlantik befuhr und, im Unterschied zu Kolumbus, als Erster erkannte, dass es sich bei dem Festland am anderen Ende des Atlantiks nicht um Asien handelte, sondern um einen bisher unbekannten Kontinent. Aber immerhin hat ein südamerikanisches Land als Namensgeber den Entdecker Amerikas erwählt, und zahlreiche Länder des amerikanischen Kontinents begehen alljährlich feierlich die Ankunft des Christopher Kolumbus in der Neuen Welt.
Kannibalen: Mythos aus Profilneurose?
KANNIBALEN
MYTHOS AUS PROFILNEUROSE?
Immer wieder befällt ein Schrecken das beschauliche Leben der westlichen Welt, wenn Medien von kannibalischen Handlungen berichten. Heutzutage beziehen sich solche Meldungen meistens auf Fälle vor unserer Haustür – seien es hungernde Opfer eines Flugzeugabsturzes, die sich
Weitere Kostenlose Bücher