Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die 50 Groessten Luegen Und Legenden Der Weltgeschichte

Titel: Die 50 Groessten Luegen Und Legenden Der Weltgeschichte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Ingmar Gutberlet
Vom Netzwerk:
Fund menschlicher Knochen diente ebenso als Beweis für Menschenfresserei wie unüberprüfbare Berichte angeblicher Kannibalenexzesse. Das eine wurde als Beweis für das andere bemüht, ohne dass je kannibalische Handlungen beobachtet werden konnten. Das hielt die Autoren im fernen Europa aber nicht davon ab, die Gräueltaten detailliert zu beschreiben. Dabei fällt auf, wie sehr sich die Erzählungen ähneln und dass bestimmte Versatzstücke stereotyp immer wieder auftauchen.
    Einer kritischen Untersuchung halten die Berichte über mittel-und südamerikanische Menschenfresser nicht statt. Zahlreiche Fachleute haben darauf hingewiesen, dass wirkliche Belege fehlen und die Motivation für die Schauergeschichten in Europa entstand: Die überlieferten Texte über barbarische Völker am Rand der Welt galten unbestritten als wahr, weil ihre antiken Verfasser über jeden Zweifel erhaben schienen. Schon deshalb war klar, dass Seefahrer irgendwann auf Kannibalen stoßen würden. Im Spanien des 16. Jahrhunderts diente die vermeintliche Existenz der Menschenfresser außerdem als überzeugendes Argument in der durchaus notwendigen Rechtfertigung von Eroberung und Unterdrückung der Neuen Welt. In Fortsetzung dieser Tradition wurde Portugiesisch-Amerika, das heißt Brasilien, zum Land der Kannibalen schlechthin.
    Vor allem der Namenspatron des neuen Kontinents, Amerigo Vespucci, hat mit seinen Schriften, die insgesamt als weitgehend unseriös eingestuft werden, den Kannibalenmythos weiter verbreitet. Er behauptete, unter Kannibalen gelebt und ihre Praktiken beobachtet zu haben, verwendete aber dieselben formelhaften Versatzstücke wie seine Vorgänger und schmückte sie lediglich gekonnt aus. Vespucci wiederum wurde nicht nur viel gelesen, sondern von nachfolgenden Reiseschriftstellern eifrig kopiert – am profitablen Markt für Reiseliteratur wollten viele verdienen.
    Für die einheimische Bevölkerung erwies sich der Kannibalismusvorwurf als verhängnisvoll. Wer tabulos Menschen verspeiste, hatte mindestens Fremdherrschaft und Versklavung verdient, wenn nicht die Vernichtung. Insbesondere die vermeintlichen Kannibalenstämme sollten versklavt werden, um sie die Goldgier der Europäer befriedigen zu lassen. Gut und Böse bei den Völkern Südamerikas entsprach in der Wahrnehmung immer mehr der Unterscheidung Kannibale-Nichtkannibale – so als diespanische Krone in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts oder König Sebastian von Portugal in einem Gesetz von 1570 die Versklavung von Kannibalen ausdrücklich erlaubten. Das ließ viel Spielraum, denn bestritten die Urbewohner die Kannibalismusvorwürfe, konnte man sie flugs zu Lügnern erklären.
    Im 19. Jahrhundert dann rückte die Urgeschichte die Vorfahren der europäischen Völker ins allgemeine Interesse – und wieder wurden kannibalische Praktiken ausgemacht. Die Vorstellung von Kannibalismus war längst zu einem Wandermythos geworden. Heute zeigen Ausgrabungsstätten überall auf dem Kontinent angebliche Belege für Menschenfresserei in grauer europäischer Vorzeit. Bei kritischer Untersuchung der Befunde drängen sich aber erhebliche Zweifel auf, denn die Erkenntnisse sind keineswegs zwingend. Statt eindeutiger Beweise sind es nur Indizien, die stets auch andere Erklärungen zulassen: Meistens dürfte es sich um Grabfunde handeln, deren Eigentümlichkeiten sich mit Bestattungsriten völlig zufriedenstellend erklären lassen. Genauso lassen sich die vermeintlichen Kannibalismusbelege der frühen Amerikareisenden in den Behausungen der Einheimischen als Kriegstrophäen oder Ahnenreliquien identifizieren. Auch die Forscher des 19. Jahrhunderts waren offenbar von ihren eigenen Erwartungen so vorgeprägt, dass sie ohne kritische Prüfung bestätigt sahen, was sie ohnehin zu wissen glaubten: Vorzivilisatorische Völker waren Kannibalen. Komplexe Bestattungsriten und symbolische Handlungen traute man den »primitiven« Völkern dagegen nicht zu.
    Die Existenz von Kannibalismus jenseits perverser Gelüste oder zum bloßen Überleben gilt für viele Wissenschaftler bis heute als gesichert, obwohl die Belege dafür weder eindeutig sind noch einer kritischen Untersuchung standhalten. Dem Volk der Fore in Neuguinea wird noch immer zugeschrieben, ihre Verstorbenen aufzuessen, um die auffällige Verbreitung einerder Creutzfeldt-Jacob-Krankheit ähnlichen Hirnerkrankung zu erklären, die sich ebenso gut auf einen speziellen Bestattungsritus zurückführen lässt. Zu attraktiv ist

Weitere Kostenlose Bücher