Die 500 (German Edition)
Umzug anfielen, das Schlangestehen bei der Zulassungsstelle oder das Warten auf die Techniker vom Kabelfernsehen, es geschah einfach. Und es blieb so, all die kleinen Unannehmlichkeiten des Lebens existierten nicht mehr. Da begann ich zu begreifen. Ich hatte immer Geld zum Überleben gebraucht, für das Nötigste, das Monat für Monat bezahlt werden musste. Ich hörte eigentlich nie auf, darüber nachzudenken, was sie eigentlich bewirkten, diese zahllosen Vergünstigungen, die die Menschen mit dem Wort »angenehm« umschreiben.
Ich fühlte mich ein bisschen unwohl dabei, ich hatte sogar das Gefühl, sie würden mich verweichlichen. Ich sah mich gern als einen hungrigen, ehrgeizigen Menschen. Und wenn man jeden Tag zwölf Gesprächsprotokolle und vierzehnhundert Seiten Akten durchackern muss, pro Woche zwei alles entscheidende Berichte abzuliefern hat und jeden Augenblick einer der Partner auf eine »kleine Kontrollvisite« hereinschneien kann, die deine letzte sein konnte, dann hat man nicht wirklich Zeit, sich darüber den Kopf zu zerbrechen, ob man verweichlicht. Man begreift, dass Christina recht hat: Mit Phat Thai, das man sich in den Konferenzraum liefern lässt, und einer Luxuslimousine, die einen nach Hause chauffiert, zahlt Davies einen niedrigen Preis dafür, dass seine Angestellten immer auf Trab sind und er für siebzig Stunden die Woche zwei- bis dreihundert Dollar pro Stunde für sie in Rechnung stellen kann.
Ich brauchte das Geld und mochte die Vergünstigungen, aber beides war nicht der Grund, warum ich mich jeden Morgen um Viertel vor sechs aus dem Bett quälte. Es waren die glänzenden Schuhe und frischen Hemden. Es war das Abhaken von acht Aufgaben noch vor neun Uhr. Es war das Klackern meiner Johnson-&-Murphy-Schuhe, das von den eichenvertäfelten Wänden widerhallte, wenn ich über den Marmorboden des Foyers der Davies Group ging. Es war der Anblick von klugen Männern, die wichtige Arbeit leisteten, der Anblick von Henry Davies und einem ehemaligen CIA-Direktor, die im Innenhof lachten wie alte Zimmergenossen, es war die Erkenntnis, dass ich, wenn ich mir weiter den Arsch aufriss, vielleicht eines Tages einer von ihnen sein könnte. Es war das Gleiche, das mich angetrieben hatte, seit mir ein Richter die Wahl gelassen hatte: das Bedürfnis etwas zu finden, was größer war als ich, etwas, von dem ich ein Teil sein konnte, eine Arbeit, in der ich mich verlieren konnte, irgend etwas, was den Kriminellen in meinem Blut auf Abstand hielt.
Ich würde alles tun, um es bei Davies zu schaffen und nicht wieder aus der ehrbaren Welt herauszufallen. Und das war der Grund, warum ich in dem verschlossenen Mahagonispind gelandet war.
Diese ersten Monate kamen mir vor, als durchliefe ich das Aufnahmeritual einer Studentenverbindung. Niemand verlor ein Wort darüber, worin es bestand, aber man war sich bewusst, dass jeder deiner Schritte genauestens beobachtet wurde. Gelegentlich verschwand jemand, und es beschlich einen das Gefühl, als sei am Abend zuvor in einem exklusiven Raum der Davies Group insgeheim abgestimmt und ein schwar zes Häkchen hinter dem Namen des Untauglichen gemacht worden.
Zumindest war das Dauerthema unter den Junior Associates. Ich hielt das für ein bisschen übertrieben. Allerdings war ich davon überzeugt, dass der erste richtige Auftrag darüber entschied, ob man blieb oder flog. Wenn man im Geschäft »Regierungsangelegenheiten« aus einem Politiker oder Beamten herauskitzeln will, was der Klient verlangt, kommt irgendwann der Augenblick, der »das Angebot« genannt wird. Der Fall mag noch so kompliziert sein, letztlich läuft es auf die eine Frage hinaus: Liefert er, was du von ihm willst? Ja oder nein.
Das tatsächliche Angebot macht ein Partner. Er ist das illustre Gesicht der Firma. Die eigentliche Arbeit jedoch erledigt ausschließlich der Associate. Wenn du deinen ersten Fall übertragen bekommst, gehört er ganz allein dir. Wenn das Objekt Ja sagt, bist du der Champ. Lautet die Antwort Nein, bist du draußen.
Meinen ersten Fall erhielt ich von William Marcus. Sein Büro befand sich im zweiten Stock neben dem von Davies. Das war der Vorstandsflur. Die eine Seite nahm ein eichengetäfelter Sitzungssaal ein. Auf der anderen Seite befanden sich sechs oder sieben Suiten, von denen jede so groß wie meine Wohnung war. Von ihren Hochsitzen in den Hügeln von Kalorama aus konnten sie alle auf DC hinunterschauen. Wenn ich durch diesen Korridor ging, stellten sich mir die Haare
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