Die 500 (German Edition)
wenigstens schien er einen Hauch weniger sauer auf mich zu sein. Er sagte, ich solle jetzt von Grund auf alle Argumente ausarbeiten, wie das Zollschlupfloch zu schließen sei. Ich solle alles auf ein einziges Ziel maßschneidern: die Änderung von Goulds Meinung. Ich las die Abschlussarbeiten, mit denen er seinen Bachelor und Master gemacht hatte. Ich fand heraus, welche Zeitungen und Zeitschriften er abonniert hatte und für welche wohltätigen Zwecke er spendete. Ich grub jede seiner Entscheidungen aus, die schriftlich oder in jemandes Erinnerung greifbar war. Ich zog den Kreis immer enger, trimmte jedes Argument gegen Kaisers Schlupfloch so, dass es Goulds persönlichen Gewohnheiten und Meinungen entgegenkam. Ich dampfte die Argumente wieder und wieder ein, bis sie auf eine einzige Seite zusammengeschrumpft waren. Das letzte Memo war unverschnittenes Heroin gewesen. Das hier war eine Designerdroge. Gould musste in unserem Sinne entscheiden.
»Das hoffe ich für Sie«, sagte Marcus.
Trotz all der Lektüre und Gesprächsprotokolle bekam ich erst ein Gespür für den Mann und dafür, wie er tickte, als ich ihn persönlich kennenlernte. Bei meinem Profil war ich vielleicht etwas zu weit gegangen. Ich wusste, wo seine Kinder zur Schule gingen, welchen Wagen er fuhr, wo er seinen Hochzeitstag feierte, wohin er gewöhnlich zum Lunch ging. Dabei handelte es sich meist um sehr teure Restaurants: Michel Richard Central, Prime Rib, The Palm. Aber jeden zweiten Donnerstag ging er ins Five Guys, einen Hamburgerladen.
In der Woche, nachdem ich Marcus meinen neuen Bericht geliefert hatte, rief er mich nach oben und führte mich dann in Davies’ Suite. Davies bedeutete Marcus mit einer Handbewegung, draußen zu warten. So sah das Herrscher-über-die-Welten-Büro aus, das ich mir schon in Harvard vorgestellt hatte, außer dass Davies natürlich einen besseren Geschmack hatte als ich in meiner Fantasie. Drei Wände waren vom Boden bis zur Decke mit Büchern bedeckt. Und sie waren auch gelesen worden und nicht nur in Leder gebundene Staffage. Der gesamte Raum war in Mahagoni gehalten. Und eine solche Ego-Wand – Shake-Hands-Schnappschüsse mit jeder einflussreichen Persönlichkeit, der man jemals begegnet war, Pflicht für Washington – hatte ich in meinem ganzen Leben noch nicht gesehen. Die Fotos von ihm und den Lenkern der Welt reichten Jahrzehnte zurück, und das waren nicht die üblichen Zwei-Anzugtypen-bei-einer-Benefizveranstaltung-Fotos. Auf einem spielte er – jünger als ich – eine Runde Bowling mit Nixon, auf einem anderen saß er mit Jimmy Carter in einem kleinen Ruderboot beim Angeln, auf dem nächsten …
»Ist das der Papst?«, platzte es aus mir heraus.
Davies stand hinter seinem Schreibtisch. Er sah nicht glücklich aus. »Gould hat sich nicht bewegt«, sagte er.
Sie hatten mein Memo, die speziell auf Gould zugeschnittenen Argumente, an den gegen den Kaiser kämpfenden Branchenverband weitergegeben, und der hatte den Fall Goulds Arbeitskreis vorgetragen. Davies hatte Kontakte ins Handelsministerium, die ihm signalisieren würden, wenn Goulds Meinung sich änderte. Er hatte keinen Millimeter nachgegeben.
»Ich finde noch mehr raus«, sagte ich.
Er hob das Memo hoch, das ich zusammengestellt hatte. »Das ist perfekt«, sagte er, dann ließ er mich eine Minute lang hängen. Sein Tonfall klang nicht nach Lob.
»Ich habe unten schon hundertzwanzig Leute, die mir Perfektes liefern. Ich brauche nicht noch einen. Wissen Sie, was dieser Vertrag wert ist?«
»Nein.«
»Wir haben Vereinbarungen mit jedem betroffenen Industrie- und Branchenverband getroffen. Siebenundvierzig Millionen.«
Ich spürte, wie ich weiß wurde. Er musterte mich einige Sekunden lang.
»Wir rechnen hier nicht nach Stunden ab, Mike. Wenn wir gewinnen, kriegen wir siebenundvierzig. Wenn wir verlieren, kriegen wir nichts. Aber wir verlieren nicht.«
Er trat einen Schritt auf mich zu und schaute mich eindringlich an. »Ich bin ein Risiko mit Ihnen eingegangen, Mike. Ich habe Sie aus Gründen eingestellt, aus denen die anderen Sie nicht einstellen würden, weil Sie nämlich kein gewöhnlicher Kandidat sind. Möglich, dass ich einen Fehler gemacht habe. Beweisen Sie mir, dass dem nicht so ist. Zeigen Sie mir, dass Sie mir etwas liefern können, was die anderen nicht liefern können. Liefern Sie mir etwas, was besser ist als perfekt. Überraschen Sie mich.«
Es ist leichter, nichts zu haben, als etwas geschenkt zu bekommen und es dann zu
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