Die 7 Suenden
Jacobi und reichte mir ihre Akte. Das beigefügte Fahndungsfoto zeigte eine junge, mädchenhaft wirkend Frau mit kurzen, blonden Haaren und riesigen Augen. Laut Geburtsdatum war sie zweiundzwanzig Jahre alt.
»Vor ein paar Jahren hat sie ihren Namen aber amtlich ändern lassen«, fuhr Jacobi fort. »Heute heißt sie Junie Moon.«
»Dann ist Michael Campion also zu einer Nutte gegangen«, sagte ich und legte die Akte zurück auf seinen Schreibtisch. »Wie lautet deine Theorie, Jacobi?«
»Dass der Junge ›in flagranti delicto‹ verstorben ist, Boxer. Auf Deutsch: beim Vollzug des Geschlechtsaktes. Falls dieser Hinweis sich bestätigen lässt, dann könnte ich mir durchaus vorstellen, dass Ms. Myrtle Bays alias Junie Moon Michael Campion während dessen allererster Nummer umgebracht … und anschließend seine Leiche hat verschwinden lassen.«
4
Ein junger Mann Mitte zwanzig mit blonden Stachelhaaren und einem schwarzen Sakko kam pfeifend zu Junie Moons Haustür heraus. Conklin und ich saßen in unserem Streifenwagen und sahen zu, wie der Freier quer über die Leavenworth Street ging. Sein neuer BMW - ein top aktuelles Modell - entriegelte sich mit einem zwitschernden Geräusch.
Nachdem seine Heckleuchten um die nächste Ecke verschwunden waren, betraten Conklin und ich den Pfad, der zur Haustür dieses pastellfarbenen, viktorianischen Lebkuchenhauses führte. Überall blätterte der Putz ab, und es bestand dringender Renovierungsbedarf. Ich klingelte, wartete eine Minute und klingelte noch mal.
Dann ging die Tür auf, und wir blickten in das ungeschminkte Gesicht von Junie Moon.
Ich erkannte sofort, dass Junie keine gewöhnliche Nutte war. Sie strahlte eine blühende Frische aus, wie ich sie noch nie zuvor bei einem Freudenmädchen gesehen hatte. Ihr Haar war noch feucht vom Duschen... blonde Locken, die in einem dünnen Zopf endeten, den sie blau gefärbt hatte. Ihre Augen waren von einem tiefen, rauchigen Grau, und die Oberlippe ihres sinnlichen Mundes wurde von einer dünnen, weißlichen Narbe durchschnitten.
Sie war eine Schönheit, aber am meisten beeindruckte mich Junie Moons entwaffnend kindliche Ausstrahlung. Sie zog den Gürtel ihrer goldfarbenen Seidenrobe eng um die schmalen Hüften, als mein Partner ihr seine Dienstmarke zeigte, unsere Namen nannte und sagte: »Mordkommission. Dürfen wir reinkommen?«
»Mordkommission? Sie wollen zu mir ?«, sagte sie. Ihre Stimme passte voll und ganz zu ihrer äußeren Erscheinung und war nicht einfach nur jung, sondern voller süßer Unschuld.
»Wir haben einige Fragen in Bezug auf eine vermisste Person«, sagte Rich und ließ sein charmantestes Aufreißerlächeln sehen.
Junie Moon bat uns herein.
Im Zimmer schwebte ein süßer Duft nach Lavendel und Jasmin, und das sanfte Licht stammte aus schwachen Glühbirnen unter seidenen Schirmen. Conklin und ich setzten uns auf ein mit Samt gepolstertes Zweiersofa, während Junie auf einer Ottomane Platz nahm und mit gefalteten Händen die Knie umfasste. Sie war barfuß, und ihr Nagellack besaß genau die gleiche blasse Korallenfarbe wie das Innere einer Muschel.
»Hübsch hier«, sagte Conklin.
»Danke. Ich habe es nur gemietet. Möbliert«, erwiderte sie.
»Haben Sie diesen Mann schon einmal gesehen?«, wollte ich dann von Junie Moon wissen und zeigte ihr ein Foto von Michael Campion.
»Sie meinen in echt? Das ist doch Michael Campion, oder nicht?«
»Ganz genau.«
Junie Moons graue Augen wurden noch riesiger. »Ich habe Michael Campion noch nie im Leben gesehen.«
»Okay, Ms. Moon«, sagte ich dann. »Wir würden Ihnen gerne ein paar Fragen stellen, und zwar auf der Wache.«
5
Junie Moon saß uns im Verhörzimmer Nummer zwei, einem vier mal vier Meter großen, grau gekachelten Raum mit einem Metalltisch, vier Metallstühlen sowie einer an der Decke befestigten Videokamera, gegenüber.
Ich hatte zweimal nachgesehen, um absolut sicherzugehen. In der Kamera lag ein Videoband, und sie zeichnete alles auf, was in dem Raum geschah.
Junie trug jetzt eine weitmaschige, rosafarbene Strickjacke über einem Schnürmieder, dazu Jeans und Turnschuhe. Sie war ungeschminkt und sah - ohne Übertreibung - aus wie eine Zehntklässlerin.
Zu Beginn der Befragung hatte Conklin Junie Moon in charmantem, respektvollem Ton - »ist wirklich nichts Besonderes« - über ihre Rechte aufgeklärt. Sie setzte ohne zu murren ihre Unterschrift unter den Vordruck, aber trotzdem... Ich hatte ein ganz ungutes Gefühl dabei. Junie Moon
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