Die Abenteuer des braven Soldaten Schwejk
Leintücher über die Verstorbenen, die vollständig schwarze Lippen hatten, zog ihre Hände mit den schwarzen Nägeln hervor, die sie in der letzten Agonie des Erstickens auf den emporragenden Geschlechtsteil gelegt hatten, und bemühte sich, ihnen die Zunge in den Mund zu schieben. Dann kniete er bei den Betten nieder und legte los: »Heilige Maria, Mutter Gottes …« Und der alte Sanitätssoldat aus der Steiermark schaute dabei auf seine genesenden Patienten, deren Delirium die Reaktion auf ein neues Leben bedeutete.
»Heilige Maria, Mutter Gottes«, wiederholte er, als ihn irgendein nackter Mann auf die Schulter klopfte.
Es war Kadett Biegler.
»Hören Sie«, sagte er, »ich hab – gebadet … Das heißt, man hat mich gebadet … Ich b-brauch eine Decke … Mir ist kalt.«
»Das ist ein besonderer Fall«, sagte eine halbe Stunde später derselbe Stabsarzt zum Kadetten Biegler, der unter der Decke ausruhte: »Sie sind Rekonvaleszent, Herr Kadett; morgen |533| schicken wir Sie ins Reservespital in Tarnow. Sind ein Träger von Cholerabazillen … Wir sind so weit fortgeschritten, daß wir das alles kennen. Sie sind vom 91. Regiment …«
»13. Marschbataillon«, antwortete der Sanitätsunteroffizier für Kadett Biegler, »11. Kompanie.«
»Schreiben Sie«, sagte der Stabsarzt: »Kadett Biegler, 13. Marschbataillon, 11. Marschkompanie, 91. Regiment, zur Beobachtung in die Cholerabaracke in Tarnow. Träger von Cholerabazillen …«
Und so wurde aus dem Kadetten Biegler, dem begeisterten Kämpfer, ein Träger von Cholerabazillen.
3
In Budapest
Auf dem Militärbahnhof in Budapest brachte Matuschitz Herrn Hauptmann Sagner ein Telegramm vom Kommando, das der unglückliche Brigadekommandant geschickt hatte, der ins Sanatorium geschafft worden war. Es hatte denselben nichtchiffrierten Inhalt wie jenes, das auf der vorigen Station eingetroffen war: »Rasch abkochen, dann Vormarsch auf Sokal.« Hinzugefügt war: »Train bei der Ortsgruppe einreihen. Aufklärungsdienst wird aufgehoben. Das 13. Marschbataillon baut eine Brücke über den Bug. Näheres in den Zeitungen.«
Hauptmann Sagner begab sich sofort zum Bahnhofskommando. Ein kleiner dicker Offizier begrüßte ihn mit freundschaftlichem Lächeln.
»Der hat was aufgeführt, euer Brigadekommandant«, sagte er, übers ganze Gesicht lächelnd, »aber einhändigen hab ich euch den Blödsinn müssen, weil von der Division noch keine Verordnung gekommen ist, daß man seine Telegramme den Adressaten nicht zustelln soll. Gestern ist das 14. Marschbataillon des 75. Regiments durchgefahren, und für den Bataillonskommandanten lag ein Telegramm vor, daß man der Mannschaft als besondere Belohnung für Przemyśl je sechs |534| Kronen auszahlen soll, und gleichzeitig der Befehl, daß jeder Mann von diesen sechs Kronen hier in der Kanzlei zwei Kronen für die Kriegsanleihe erlegen muß. – Verläßlichen Berichten zufolge hat euer Brigadegeneral Paralyse.«
»Herr Major«, fragte Hauptmann Sagner den Bahnhofskommandanten, »dem Regimentsbefehl zufolge fahren wir laut Marschroute nach Gödöllö. Die Mannschaft soll hier fünfzehn Deka Emmentaler Käse bekommen. Auf der letzten Station hat die Mannschaft fünfzehn Deka ungarische Salami bekommen sollen. Aber sie hat nichts bekommen.«
»Offenbar wird auch hier nichts draus werden«, antwortete der Major, indem er unaufhörlich liebenswürdig lächelte, »ich weiß von keinem ähnlichen Befehl für
Regimenter aus Böhmen
. Übrigens ist das nicht meine Sache, wenden Sie sich an das Verpflegungskommando.«
»Wann fahren wir ab, Herr Major?«
»Vor Ihnen steht ein Zug mit schwerer Artillerie nach Galizien. Wir lassen ihn in einer Stunde abgehen, Herr Hauptmann. Auf dem dritten Geleise steht ein Sanitätszug. Er fährt fünfundzwanzig Minuten nach der Artillerie ab. Auf dem zwölften Geleise haben wir einen Munitionszug. Er fährt zehn Minuten nach dem Sanitätszug ab, und zwanzig Minuten nach ihm geht Ihr Zug.
Das heißt, wenn daran nichts geändert wird«, fügte er abermals lächelnd hinzu, so daß er Hauptmann Sagner vollends unsympathisch wurde.
»Erlauben Sie, Herr Major«, fragte Sagner, »können Sie mir eine Aufklärung darüber geben, wieso Sie von keinem Befehl wissen, der die Ausfolgung von fünfzehn Deka Emmentaler Käse
an Regimenter aus Böhmen
betrifft?«
»Das ist ein Reservat«, antwortete unaufhörlich lächelnd der Kommandant des Militärbahnhofs in Budapest.
Da bin ich schön reingefallen, dachte
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