Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition)
fuhren stellvertretend für alle Autos, die ich je gesehen hatte, und die Knöpfe an dem Sofakissen waren das Volk, das ruhig und reif das Geschehen beobachtete. Ich sprach zu den Knöpfen – nicht mit ihnen, sondern zu ihnen –, zweifelte aber nicht, ob es tatsächlich Knöpfe waren oder nicht doch Leute mit Ohren. Es waren keine Leute mit Ohren, es waren Knöpfe. Und die beiden Autos waren nicht alle Autos, die ich je gesehen hatte. Ich begriff den Unterschied zwischen Modell und Realität; begriff auch, dass Modelle nötig sind, um die Realität zu bewältigen. Die Leistung der Erziehung besteht darin, diese Unterscheidung in Frage zu stellen und eine Entscheidung zu erschweren, allein indem eine verlangt wird.
Schon am nächsten Morgen hatte ich mich an mein neues Leben gewöhnt. Damit meine ich, die Erinnerung an mein altes begann zu schwinden. Ich vermisste es auch nicht. Ich war ein anderer. Gegen Mittag hatte ich das Brot zur Gänze ausgehöhlt und machte mich über die Kruste her. Die schmeckte mir sogar noch besser. Ich zerkaute sie zu Brei, den spuckte ich in die Hand, kühlte ihn, indem ich darauf blies, und schleckte ihn auf. Später erfuhr ich, dass es Hyänen genauso mit ihrer Beute halten. Den Erdhügel trug ich ab und baute daraus eine Straße. Die war zugegeben etwas schütter, aber sie zog sich durch den Salon, an den Fenstern entlang bis zur großen Schiebetür. An manchen Stellen flankierte ich sie mit den Scherben der Blumentöpfe – das waren die Städte. Ich trug alle Kissen zusammen, die ich in der Wohnung finden konnte, aus dem Schlafzimmer von Moma und Opa, von den Fauteuils in Momas Arbeitszimmer, von der Sitzbank in der Küche, und reihte sie mit den Knöpfen nach vorne entlang der Straße auf. Am Abend hatte ich die Zuckerdose leer gegessen. Äpfel waren in einem Korb und Backobst. Und Butter auf dem Fensterbrett. Und ein Stück Käse, ebenfalls auf dem Fensterbrett. Aber der Käse roch ein bisschen komisch.
In der Nacht wachte ich auf. Ich konnte mich nicht erinnern, je mitten in der Nacht aufgewacht zu sein. Ich fürchtete mich nicht. Im Gegenteil, ich fühlte mich stark – mehr als muskelstark: begnadet, auserwählt, mächtig und unbesiegbar.
Das hatte mit einer neuen Erkenntnis zu tun. – Es war Anfang Jänner und ein besonders empfindlicher Winter. Moma mochte es gern warm haben, sie gab viel Geld für Holz aus. Der Kachelofen war gut eingefeuert, aber nach einem Tag waren die Scheite heruntergebrannt, und die Wohnung begann auszukühlen. Ich hatte bis dahin nie gefroren, und wenn ich ins Bett ging, war ich zugedeckt worden, im Sommer wie im Winter. Die Kausalität von Decke zu Wärme war mir also nicht einsichtig. Es war eine bunte Decke mit aufgestickten Tieren, der nicht anzusehen war, dass sie auch noch einen anderen Zweck haben könnte, als schön und weich zu sein. Am Abend aber hatte ich gefroren, und als ich mich zudeckte, fror ich nicht mehr. Und ich fror auch nicht, als ich in der Nacht durch die Wohnung ging und mir dabei die Decke um die Schultern legte.
Im Badezimmer stand ein mannshoher Kristallspiegel mit geschliffenen Kanten. Ich hatte mich oft darin gesehen, mich aber für den, den ich sah, nicht sonderlich interessiert. Ich hatte mit ihm herumgealbert, hatte ihn auf den Mund geküsst und meine Hand auf seine gelegt. Mit einer Decke um die Schultern war er mir nie begegnet. Erst in der Verkleidung erkannte ich in meinem Spiegelbild mich selbst. Ich wusste, der bin ich und kein anderer. In einem Märchenbuch hatte ich Bilder von einem Mann gesehen, der eine Decke um die Schultern trug. Dieser Mann war ein König. Moma hatte mir aus dem Buch vorgelesen, aber ich hatte vieles nicht verstanden, und sie war ungeduldig geworden, weil ich immer fragte, und darum hat mir Opa die Geschichte zu Ende erzählt. Der König, erzählte er, stammte aus einer Stadt namens Xanten – wenn man mir in die Augen schaute, konnte ich mir fremde Worte spielend leicht merken –, und er war der stärkste Mann der Welt; mit einem einzigen Hammerschlag rammte er einen Amboss in den Boden; er tötete einen Drachen und badete sich in dessen Blut und wurde auf diese Weise unverwundbar; er war im Besitz eines Schwertes, mit dem er sich unterhalten und dem er Befehle geben konnte, und einer Kappe, die ihn unsichtbar machte; er besiegte einen Zwerg und bekam von ihm einen Goldschatz geschenkt, weil er ihn am Leben ließ; und schließlich heiratete er die schönste und reichste Frau des
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