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Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition)

Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition)

Titel: Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Köhlmeier
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Landes. »Dieser König war«, erzählte mir mein Großvater, »begnadet, auserwählt, mächtig und unbesiegbar.« Und weil er sah, dass ich immer noch traurig war wegen Momas Ungeduld, erklärte er mir, zwischen Moma und ihm sei es wie in der Geschichte vom Kalif Storch und dem Großwesir, die er mir am Tag zuvor zu Ende erzählt hatte: Der Großwesir sei dazu da, damit er für den Kalifen spreche, denn der Kalif sei viel zu vornehm, um das selbst zu tun, und so sei es eben auch bei Moma und ihm; er spreche für Moma, und eigentlich kämen alle Geschichten, die er erzähle, von ihr; das hatte ich ihm geglaubt und war nicht mehr traurig gewesen, denn ich wollte lieber, dass mir Moma erzählte als er oder sonst jemand.
    Ich stand im Badezimmer vor dem großen Kristallspiegel; nur das Rauschen des Wasserhahns in der Küche war zu hören, wie ein ferner Applaus; von draußen fiel ein wenig Licht von den Straßenlaternen herein; und ich sah mich mit einer Decke um die Schultern und kam mir vor wie der König von Xanten. Ich stolzierte in den Salon zurück und erzählte den Knöpfen an den Kissen, was ich im Spiegel gesehen hatte. Alles kam mir nun anders vor – die Knöpfe, weil ich sie in der Dunkelheit nicht richtig wahrnehmen konnte, wie demütig gesenkte Augenlider; die zerknautschten Körper der Kissen wie die Körper verwundeter Soldaten. Die Möbel waren Schattenbilder, und wie mir schien, zeigten sie als solche erst ihren wahren Charakter: unnachgiebig, rechthaberisch, illoyal, zu Rebellion und Verrat neigend. Ich fegte die Bücher aus den Regalen, soweit ich sie erwischen konnte, und verstreute sie über den Fußboden, denn sie starrten mich an wie eine strammstehende feindliche Armee. Ich verschob den Diwan und kippte die Fauteuils und die Ottomane um – was mühsam war, mir aber wieder einige neue Erkenntnisse brachte, zum Beispiel, dass ich zwischendurch verschnaufen konnte, ohne mit der Arbeit von vorne anfangen zu müssen, wenn ich unter ein Stuhlbein ein Buch schob. Das Tischchen, bei dem die Ottomane gestanden hatte, untersuchte ich genauer. Unter der runden Platte befanden sich mehrere kunstvoll eingepasste Schubfächer. Darin lagen Rauchwaren und Zündhölzer. Wie man mit Zündhölzern Licht zaubern konnte, das wusste ich, denn Moma hatte mir manchmal erlaubt, ihre Zigarette anzuzünden. Aber ich zauberte kein Feuer, ich stieß das Tischchen um, eine Schublade zersplitterte. Schließlich schleppte ich die Kissen ins Badezimmer, breitete sie vor dem Spiegel aus, legte mich darauf, deckte mich mit meinem Königsmantel zu und schlief ein. Ich hörte, wie sich die aufgestickten Tiere regten, und ich hörte sie rufen; aber nicht nach mir riefen sie, in die Welt hinaus riefen sie, und sie bekamen Antwort.
    Am nächsten Tag betrachtete ich mein Gesicht im Spiegel und sah im Licht der Sonne, wie es wirklich war. Ich sah meine goldbraunen Locken und sah die vielen goldenen Punkte auf meiner Stirn und meiner Nase und auf meinen Wangen. Mein Gesicht ist mit Sommersprossen übersät! Viele Menschen waren darüber entzückt, als ich ein Kind war, und als ich erwachsen wurde, flößten ihnen die Goldpunkte Vertrauen ein; das brachte Vorteile mit sich – und einen Nachteil: Ich wurde erkannt. Wenn mich einer auch nur einmal gesehen hatte, erkannte er mich jederzeit wieder.
    An die letzten drei Tage und zwei Nächte meiner Einsiedelei kann ich mich nicht mehr erinnern.
     

3
     
    Meine Mutter erzählte mir später, ich hätte vor Kälte, Erschöpfung und Hunger die meiste Zeit geschlafen. Sie wiederholte aber nur, was ihr Dr. Balázs gesagt hatte.
    An das Interview mit diesem Arzt erinnere ich mich dagegen sehr genau. Es fand in seiner Privatwohnung statt. In seiner Praxis wollte er mich nicht untersuchen, weil er der Sprechstundenhilfe nicht traute. Er wollte auch nicht nach Ordinationsschluss mit mir dorthin gehen – wenn ein Nachbar oder ein Passant am Abend Licht sähe und Vermutungen anstellte, könnte das gefährlich werden, sagte er zu meiner Mutter. In der Klinik, in der er manchmal in der Ambulanz aushalf, hätte man wahrscheinlich nach den Hintergründen gefragt und Meldung erstattet. In der Wohnung meiner Großeltern, was naheliegend gewesen wäre, wollte er das Gespräch unter keinen Umständen führen, denn es hätte sein können, dass wieder an die Tür geschlagen wurde – und wie hätte er dann den ÁVH-Leuten erklären sollen, dass er nicht an den todbringenden Konspirationen der Moskauer Ärzte

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