Die Abenteuer Des Jonathan Gullible
schüttelte seinen Kopf und wiederholte ihre Worte, um
sicherzugehen, daß er sie richtig verstanden hatte: »Die
schlechtesten Schüler bekommen Einsen und die besten Schüler
bekommen Sechsen?«
»So ist es«, nickte sie.
»Aber was passiert dann? Wird nicht jeder versuchen, bedürftiger
zu werden und weniger leistungsfähig?«
»Was nach Lady Tweed zählt, ist, daß dies ein mutiger,
menschlicher Vorgang ist. Die besten Schüler werden die Tugend der
menschlichen Aufopferung lernen und die schlechtesten Schüler
werden in der Tugend des Anspruchs unterwiesen. Die
Schulverwaltungen wurden angewiesen, den gleichen Plan für die
Beförderung von Lehrern anzuwenden.«
»Und wie hat das den Lehrern gefallen?« fragte Jonathan.
»Einige liebten es, andere haßten es. Meine Tochter hat mir
erzählt, daß die besten Lehrer gedroht haben zu kündigen, wenn sie
den Plan anwenden. Anders als die Schüler haben die Lehrer noch den
Luxus
dieser
Wahl - noch.«
Kapitel 24 Die Löhne der Sünde
Jonathan verließ den johlenden Mob im Amphitheater und ging
einen langen Gang hinunter. Am Ende des Korridors saßen mehrere
Personen in einer Reihe auf einer Bank. Alle waren mit Fußketten
aneinandergefesselt. Erwarteten diese Kriminellen ihren Prozeß?
Vielleicht könnten ihm die Beamten hier helfen, sein gestohlenes
Geld zurückzubekommen.
Links von der Bank befand sich eine Tür mit der Aufschrift:
»Büro der schweren Arbeit«. Am anderen Ende der Bank standen
uniformierte Wächter, die sich leise unterhielten und ihre ruhigen
Gefangenen nicht beachteten. Die festen Ketten an den Verhafteten
ließen wenig Hoffnung auf eine Flucht.
Jonathan ging zu dem ersten Gefangenen, einem Jungen von
ungefähr zehn Jahren, der gar nicht wie ein Krimineller aussah.
»Warum bist du hier?« fragte Jonathan unschuldig.
Der Junge sah zu Jonathan hoch und blickte vorsichtig auf die
Wächter, bevor er antwortete: »Ich habe gearbeitet.«
»Mit welcher Arbeit hast du dir denn diesen Ärger eingehandelt?«
fragte Jonathan und riß die Augen weit auf vor Überraschung.
»Ich habe in Jacks Einkaufsladen Regale aufgefüllt«, antwortete
der Junge. Er wollte noch mehr sagen, zögerte jedoch und blickte
den grauhaarigen Mann an, der neben ihm saß.
»Ich habe ihn eingestellt«, sagte Jack, ein kräftiger Mann
mittleren Alters mit einer tiefen Stimme. Der Kaufmann trug noch
immer die verschmutzte Schürze seines Gewerbes - und Fußketten, die
am Bein des Jungen befestigt waren.
»Der Kleine sagte, er möchte erwachsen werden und wie sein Vater
sein, der der Verwalter des Fabriklagers war. Ganz natürlich,
könnte man sagen. Aber die Fabrik wurde geschlossen und sein Vater
konnte keine Arbeit finden. Deshalb dachte ich, eine Arbeit für den
Jungen könnte gut für seine Familie sein. Ich gebe ja zu, es war
auch gut für mich. Die großen Läden drücken ganz schön die Preise
und ich brauchte eine billige Hilfe. Na ja, das ist jetzt alles
vorbei.« Sein Gesicht hatte einen resignierten Ausdruck.
Der Junge setzte fort: »In der Schule bezahlen sie dich nie für
das Lesen und die Mathe. Jack bezahlt. Ich habe die Bestände
überprüft und die Warenbücher - und Jack hat versprochen, daß ich,
wenn ich es gut machen würde, auch Aufträge ausgeben kann. Deshalb
habe ich begonnen, die Ankündigungen und Handelsblätter zu
lesen.
Und ich habe richtige Leute getroffen, nicht nur die Kinder aus
der Schule. Jack hat mich unterstützt und ich habe meinem Vater bei
der Miete geholfen - ich habe sogar genug verdient, um ein Fahrrad
zu kaufen. Jetzt haben sie mich erwischt.« Er schaute auf den Boden
und seine Stimme wurde schwächer, »und ich muß wieder zu diesem
Kinderkram zurückkehren.«
»Kinderkram ist nicht so schlecht, wenn du die Alternativen
bedenkst«, erklärte ein stämmiger, gemütlicher Mann, neben dem ein
Korb voller verwelkter gelber Rosen stand. Er war in der Reihe auf
der anderen Seite des Jungen angekettet.
»Es ist schwer, sich seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Mir
hat es nie gefallen, für einen anderen zu arbeiten. Endlich dachte
ich, daß ich es mit meinem Blumenkarren geschafft hätte. Ich habe
auf den Hauptstraßen und dem Marktplatz ganz gut Rosen verkauft.
Die Leute mochten meine Rosen - die Kunden meine ich.
Aber den Ladenbesitzern gefiel die Konkurrenz gar nicht. Sie
gingen zum Hohen Rat und der hat das ›Hausieren‹ verboten. Ein
Hausierer! So nennen die mich, weil ich mir keinen Laden leisten
kann. Sonst wäre ich
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