Die Abenteuer von Aguila und Jaguar
Nüsse knacken und Bierflaschen öffnen konnte; außerdem gab sie gern damit an, dass sie sich nie einen Knochen gebrochen hatte, niemals zum Arzt ging und von Malariaanfällen bis zu Skorpionstichen nichts sie hatte umbringen können. Sie trank Wodka ohne alles und rauchte schwarzen Tabak aus einer Seemannspfeife. Winters wie sommers trug sie die gleiche Pumphose und eine ärmellose Weste mit unzähligen Taschen, in denen sie alles für den Katastrophenfall Notwendige griffbereit hatte. Zuweilen, wenn es sich beim besten Willen nicht vermeiden ließ, dass sie sich elegant kleidete, vertauschte sie die Weste mit einer Halskette aus Bärenzähnen, dem Geschenk eines Apachenhäuptlings.
Alex wusste, seine Mutter hatte einen echten Horror vor ihr, aber er und seine Schwestern freuten sich trotz allem, wenn Kate zu Besuch kam. Immer wieder staunten sie Bauklötze, wenn ihnen diese schrullige Großmutter, Hauptfigur unglaublicher Abenteuer, von den fremdartigsten Weltgegenden berichtete. Sie schnitten ihre Reisereportagen aus den verschiedenen Zeitschriften und Tageszeitungen aus und sammelten die Postkarten und Fotos, die sie ihnen von überallher schickte. Auch wenn es ihnen manchmal peinlich war, sie ihren Freunden vorzustellen, waren sie im Grunde stolz darauf, dass jemand aus ihrer Familie fast so etwas wie eine Berühmtheit war.
Gewärmt durch das heiße Bad, eingehüllt in einen Bademantel und mit Wollsocken an den Füßen, stopfte Alex eine halbe Stunde später Fleischbällchen mit Kartoffelpüree in sich hinein, eine der wenigen Sachen, die er gerne aß, und das Einzige, was Kate kochen konnte. »Die Reste von gestern«, sagte sie, aber Alex konnte sich denken, dass sie das Essen extra für ihn gemacht hatte. Eigentlich wollte er ihr nichts von Morgana erzählen, weil er nicht dastehen wollte wie ein Rindvieh, aber er musste ihr beichten, dass ihm all seine Sachen gestohlen worden waren.
»Schätze, jetzt sagst du, ich soll niemandem trauen«, nuschelte Alex und wurde rot.
»Ganz im Gegenteil, ich wollte sagen, dass du lernen sollst, dir selbst zu vertrauen. Du siehst doch, Alexander, trotz allem konntest du ohne Schwierigkeiten zu mir kommen.«
»Ohne Schwierigkeiten?« Er starrte sie verständnislos an. »Ich bin unterwegs fast erfroren. Man hätte meine Leiche erst zur Schneeschmelze im nächsten Frühjahr gefunden.«
»Jede weite Reise beginnt mit einem Stolpern. Und dein Pass?«
»Den habe ich gerettet, er war in meiner Jackentasche.«
»Kleb ihn dir mit Tesafilm an die Brust, wenn du den verlierst, bist du geliefert.«
»Am meisten tut es mir um die Flöte leid«, sagte Alex leise.
»Dann muss ich dir wohl die Flöte deines Großvaters geben. Eigentlich wollte ich sie ja behalten, bis sich bei dir so etwas wie Talent feststellen lässt, aber ich denke, sie ist in deinen Händen besser aufgehoben, als wenn sie hier herumfliegt.«
Sie suchte auf den Regalen, mit denen die Wände ihrer Wohnung bis an die Decke vollgestellt waren, und überreichte ihm ein verstaubtes Etui aus schwarzem Leder.
»Da, Alexander. Dein Großvater hat sie vierzig Jahre gespielt, pass gut darauf auf.«
Die Kritiker hatten seinen Großvater Joseph Cold nach dessen Tod den bedeutendsten Flötisten des Jahrhunderts genannt. »Das hätten sie mal besser gesagt, solange der arme Joseph noch am Leben war«, war Kates Kommentar gewesen, als sie das in der Zeitung las. Die beiden waren damals schon seit dreißig Jahren geschieden, aber in seinem Testament vermachte Joseph Cold seiner Ex-Fraudie Hälfte seines Besitzes, darunter seine beste Flöte, die nun sein Enkel in Händen hielt. Ehrfürchtig öffnete Alex den abgegriffenen Lederkasten und strich über die Flöte: Sie war ein Schmuckstück. Er nahm sie behutsam heraus, steckte sie zusammen und setzte sie an die Lippen. Als er hineinblies, wunderte er sich selbst darüber, wie schön sich das anhörte. Diese hier klang ganz anders als die Flöte, die Morgana ihm gestohlen hatte.
~
Kate Cold gab ihrem Enkel Zeit, das Instrument unter die Lupe zu nehmen und sich, wie sie das im Grunde erwartete, überschwänglich bei ihr zu bedanken, dann drückte sie ihm eine vergilbte Schwarte mit losen Buchdeckeln in die Hand: Gesundheitsratgeber für den tollkühnen Reisenden . Alex schlug wahllos eine Seite auf und las die Symptome einer tödlichen Krankheit vor, die man bekommen kann, wenn man das Gehirn seiner Vorfahren verspeist.
»So was Ekeliges esse ich sowieso nicht«, sagte
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