Die Abenteuer von Aguila und Jaguar
Alexander fuhren Timothy Bruce, ein junger englischer Fotograf mit einem langen Pferdegesicht und nikotingelben Zähnen, dessen dicklicher, schnauzbärtiger Assistent Joel González aus Mexiko und der berühmte AnthropologeLudovic Leblanc mit. Alex hatte sich Leblanc als einen stattlichen Gelehrten mit weißem Bart vorgestellt, aber er entpuppte sich als ein etwa fünfzig Jahre altes Kerlchen, war klein, dürr und fahrig, hatte ständig einen verächtlichen Zug um den Mund und etwas aus den Höhlen quellende Mäuseaugen. Er war in Kinomanier als Großwildjäger verkleidet, trug seine Waffen am Gürtel, schwere Stiefel an den Füßen und einen mit bunten Federn verzierten Tropenhelm auf dem Kopf. Kate raunte, jetzt fehle ihm nur noch ein toter Tiger, um den Fuß darauf abzustellen. Als junger Mann hatte Leblanc eine kurze Zeit im Amazonasgebiet zugebracht und danach eine umfangreiche Abhandlung über die Indianer geschrieben, die in Wissenschaftskreisen Aufsehen erregte. Der brasilianische Führer, César Santos, der sie eigentlich in Manaus hatte abholen sollen, war nicht gekommen, weil sein Flugzeug defekt war; er würde sie in Santa María de la Lluvia erwarten, wohin die Gruppe mit dem Schiff fahren musste.
Alex stellte fest, dass Manaus, an der Mündung des Río Negro in den Amazonas gelegen, eine moderne Großstadt war, es gab Hochhäuser, und der Verkehr war erdrückend, aber seine Großmutter klärte ihn darüber auf, dass sich die Natur hier nicht bändigen ließ und in Zeiten der Überschwemmung Kaimane und Schlangen in den Hinterhöfen und Fahrstuhlschächten auftauchten. Manaus war auch eine Stadt der Schmuggler, in der das Gesetz auf wackligen Füßen stand und leicht umgestoßen werden konnte: Drogen, Diamanten, Gold, wertvolle Hölzer, Waffen. Noch keine zwei Wochen war es her, da entdeckte man einen mit Fisch beladenen Kutter … und jeder einzelne Fisch hatte den Bauch voller Kokain.
Alex, der erst ein einziges Mal im Ausland gewesen war, in Italien, wo die Vorfahren seiner Mutter gelebt hatten, staunte, dass es hier so prunkvolle Villen und teure Autos gab und gleichzeitig so viele zerlumpte Menschen und Kinder, die den Reichen die Schuhe auf Hochglanz polierten. Er musste daran denken, was er in der Schule über südamerikanische Großstädte gehört hatte, die aus allen Nähten platzten. Auf der Suche nach einer lebenswerten Zukunft strömten landlose Bauern und Arbeiter, die keine Beschäftigung finden konnten, in Scharen in die Stadt, aber viele endeten in elenden Hütten, ohne Geld und ohne Hoffnung. An diesemAbend jedoch wurde ein Fest gefeiert, und alle waren ausgelassen wie beim Karneval: Musikkapellen zogen durch die Straßen, es wurde getanzt und getrunken, viele Leute waren verkleidet. Die Expeditionsteilnehmer hatten sich in einem modernen Hotel eingemietet, konnten aber wegen der lärmenden Musik, der Kracher und Feuerwerksraketen kein Auge zutun. Deshalb war Professor Leblanc am nächsten Morgen hundsmiserabel gelaunt und verlangte, dass man sich schleunigst einschiffte, denn er wolle keine Minute länger als unbedingt nötig in dieser rücksichtslosen Stadt, wie er sie nannte, verweilen.
Um nach Santa María de la Lluvia, einer Ortschaft inmitten des Indianergebiets, zu gelangen, fuhr die Gruppe des International Geographic den Río Negro hinauf, den schwarzen Fluss, der seinen Namen von der Farbe der Sedimente hatte, die seine Strömung mit sich riss. Ihr Boot war ziemlich groß, wurde von einem altersschwachen Motor angetrieben, der lärmte und qualmte, und besaß ein aus Plastikplanen zusammengestückeltes Dach zum Schutz gegen die Sonne und den Regen, der mehrmals täglich wie eine warme Dusche fiel. An Deck drängten sich die Menschen zwischen Gepäckstücken, Säcken, Bananenbüscheln und etlichen Haustieren, die zum Teil in Käfigen verstaut waren oder einfach mit zusammengebundenen Füßen transportiert wurden. Es gab einige Tische, lange Sitzbänke und eine Reihe Hängematten, die übereinander zwischen den Pfosten hingen, die das Dach trugen.
Die Schiffsbesatzung und die meisten Passagiere waren Caboclos, Abkömmlinge von Weißen, Indianern und Schwarzen, die sich hier seit Jahrhunderten gemischt hatten. Auch einige Soldaten fuhren mit, außerdem zwei junge Nordamerikaner – Missionare der Mormonen – und eine venezolanische Ärztin, Omayra Torres, die im Indianergebiet Impfungen durchführen wollte. Sie war eine schöne, etwa fünfunddreißigjährige Mulattin mit
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