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Die Abschaffung der Arten

Die Abschaffung der Arten

Titel: Die Abschaffung der Arten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Dath
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Atlantiker hatten sich nach einer Weile auf dem Venusboden niedergelassen; aus ihnen waren dann die Vaschen und Salamander hervorgegangen.
    Zagreus, der Klappstuhldachs, stand vor dem Wasserring und wies kleine Roboter an, ein paar Dutzend Sardinen zu fangen, die keine Sprache hatten – er wollte sie Feuer auftischen, wenn der von seiner Kundschafterreise in die Stadt der Minderlinge zurückkehrte. Der Anblick von Maschinen bei der Arbeit beruhigte Zagreus sehr.
    Er fischte gern, jagte mitunter auch, kochte nicht weniger oft mit Fleisch als der Vasch Wempes, der vermutlich beim Überfall der Minderlinge auf Feuers Zuhause ums Leben gekommen war.
    Wir tun, was funktioniert, dachte Zagreus, auch wenn es gefährlich ist und wir alle Nebenwirkungen und Kollateralschäden kennen. Wir züchten Lebewesen für ausgesuchte Nischen, Geschöpfe, die keine Sprache haben, und rechnen schon mit dem Leiden, das wir verursachen werden; aber es geht nicht anders – auf der Erde war's genauso, daher wissen wir, daß es geht, daß man auf diese Weise eine Ökotektur einrichten kann.
    Wie groß die Verschwendung ist, gemessen an anderen denkbaren Lösungen, läßt sich nicht simulieren, nicht nur, weil bei uns alle Rechenzeit für praktische und kurzfristige Dinge gebraucht wird, sondern wohl auch aus prinzipiellen Erwägungen.

    Was tu ich, wenn ich den Jungen einweise, in sein seltsames Schicksal? Aus schönen Altertümern schöpfend, in einer Sprache, die der Neudachs neben vielen andern beherrschte, versuchte das Archivwissen sich an einer Antwort: »Weitoffen in einer anderen Strömung auf leichtem Fuß. / Schrill und verwickelt treiben die Dinge an dir vorbei. / War da irgendein Mythos der all dem entspricht? / War da irgendein Mythos / irgendein Mythos der / Sprich.«
    Spreche ich? Was tu ich? Auf Mythen ganz allgemein schimpfen, um die sprechenden Mythen gegen die stummen zu verteidigen, denn nur die sprechenden Mythen helfen übers Mythische hinaus, nichts sonst kann das.
    Ich gebe die empfangene, zum großen Teil unverstandene Gewalt der historischen Tatsachen, der Mythen, die sprechen, unter deren Gesetzeskraft ich gelebt und mich eingerichtet habe, an einen Jüngeren weiter, als wäre das ganz recht so. Sieh nur zu, Prinz, daß du nicht allein bist wie ich, wenn einmal das Alter kommt.
    Zagreus wußte, daß er der bald der letzte sein würde, der sich noch daran erinnerte, wie es draußen gewesen war, oben – nicht auf der Erde, nicht auf dem Mond, diese Geschichten lagen viel zu lange zurück, aber doch in den orbitalen Venushabitaten, während der geduldigen Beschießung des Planeten mit zukünftigen Lebensgrundlagen. Dort, am Rand des Leerraums, war er geboren worden, an Bord eines der langen Schiffe, von denen schon am Tag ihrer Fertigstellung festgestanden hatte, daß ihr letzter Flug mit dem Absturz enden sollte, mit dem Zerschellen.
    Die kleinen Fische waren jetzt erfolgreich zusammengetrieben, ein Kescher sammelte sie ein, ein runder Deckel schloß sich, als sie herausgeholt waren. Zagreus dachte: Ich weiß mehr, als Feuer je wissen wird, über die Gründe und Hintergründe seines Wegs, und könnte doch nicht sagen, wozu er ihn eigentlich beschreitet und wie es sich von innen anfühlt, er zu sein. Macht mich dieser Abstand böse? Hat irgendwer das Recht, jemand anderen in etwas zu verwickeln, das eigentlich niemand versteht?
    Er denkt, ich wäre sein Kompaß, dabei weiß ich die Richtung nicht.
    Immerhin, die Fische sahen gut aus: Das gab, fand Zagreus, mehr als genug für den Jungen, der ja nicht größer war als eine alte irdische Hauskatze – nach Designspezifikationen, die Lasara vor sehr langer Zeit mit ihren Genetikern entwickelt hatte, war auf der Venus alles etwas kleiner als auf der alten Welt, die Neudachse kaum mäusegroß, er selbst, das große Klappern, brachte weniger Masse auf die Waage als ein kleines Fahrrad zur Zeit der späten Langeweile.
    Zagreus vermißte seine Hütte und den Garten; er hatte, wie er sich jetzt eingestehen mußte, nach einem langen und nicht unerfüllten Einsiedlerleben eigentlich gar nicht mehr damit gerechnet, seine Rolle als Mentor und Begleiter Feuers auf dessen Findefahrt noch einnehmen zu müssen.
    Wichtig waren ihm, im Lauf der Zeit, ganz andere Dinge geworden: das praktische Nachvollziehen der ersten Funde Darwins etwa – mit dem Strohhalm Opuntienblüten berühren, um ein bestäubendes Insekt zu imitieren, das es auf dieser Welt nicht gab; Isolations- und gezielte

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