Die Abschaffung der Arten
stand auf einer Klippe in der Burgenmauer.
Geschenke, die Sankt Oswald ihr gemacht hatte, darunter uralte Bücher, fielen von den Regalen; Glas zerbrach. Eine lange Pause schloß sich an, in der die eben Erwachten überlegten, was sie einander sagen sollten.
Es fiel ihnen nichts ein.
Ein weiterer Tremor folgte. Das beste schien, rasch aufzustehen und zu gehen. Sie zog sich an. Er fragte: »In den Garten?« Sie lachte leise, nicht mehr freundlich jetzt, und sagte: »Sicher nicht.«
Sie rief ein Taxi, schickte ihn davon.
Blieb sitzen. Weinte ein bißchen.
Man muß stehen, wo man steht, dachte sie, das gilt vor allem für diese Leute hier, die Aristoi. Das Herz des Standpunkts ist: Man kann nicht fliegen.
Ich habe mir diesen Standpunkt zu eigen gemacht, obwohl ich fliegen kann, dann habe ich mein Ziel sogar durchgesetzt, und jetzt? Erzähl mir etwas, Buch, von den Gräben und den Leiden dort, von den Ackerbauversuchen, von der Dürre, auch von den Regengüssen. Erzähl's mir.
Aber sie hatte keinen ordentlichen Kenncode gesandt, mit dieser Aufforderung, und daher schwieg das Buch.
Sie legte sich aufs Bett, rief den Deckenspiegel auf und sah hinein.
Sofort war's da, das Schlimme, das sie seit Wochen ängstigte: Was, wenn der, den sie jetzt fortgeschickt hatte, vermutlich für immer, sie einfach nicht mehr hübsch genug fand? Wenn stimmte, was ihr ein Verdacht nahelegte, dessen Anlaß dort im Spiegel sichtbar war, den sie spüren konnte, wenn sie ihre Hüften betastete und ihre Brust: Sie verlor ihre weiblichen Formen, sie wurde eckiger mit jedem Tag, härter, straffer, wie ausgezehrt, und alle medizinischen Supplemente, alle Diagnostika und Therapeutika, auf die das Buch des Lebens sie hinlenkte, vermochten daran nichts zu ändern. Sicher, Sankt Oswald hatte sie drauf vorbereitet, und die Offenbarung ihres Namens hatte bereits einen entsprechenden Subtext enthalten. Beide rieten ihr, ihr Herz nicht allzu sehr ans Geschlecht zu hängen – ich war Mädchen, wurde Frau, werde Mann und kleiner Junge –, aber jetzt, da diese Prophezeiung physiologische Realität wurde, dämmerte ihr, daß sie das immer als Metapher hatte lesen wollen, als Bild eines Reifeprozesses, an dessen Ende eine zweite, veränderte Unschuld, eine Naivität auf höherer Stufe hätte stehen sollen. Statt dessen sinken bloß meine Brüste in meinen Brustkorb zurück. Ist das gerecht? Ist das erträglich? Kann ich so leben?
Will ich die sein, oder der?
7. Nicht einmal Schatten
»Du wirst nichts Wahnsinniges tun, oder?«
Sankt Oswalds Frage kam ihm selbst ein bißchen widersinnig vor, aber es war zu spät, Direkteres zu formulieren. Das Seifenblasentaxi bewegte sich in mittlerer Rauschgeschwindigkeit auf den Platz um Liviendas Urururenkelbaum zu, wo Padmasambhava ihre Rede würde halten dürfen, aus Anlaß der endgültigen offiziellen Einstellung des experimentum .
Vertreter der Echsen waren da (Sankt Oswald hoffte, daß sie einander nicht in einem unschönen Rückfall an die Gurgel gehen würden), Aristoi aus allen Burgen, Spinnen, Herzhunde, sogar Cyborgs von den Polkappen. Padmasambhava stierte rotäugig vor sich hin; sie trug schwer an Absichten, die ihr alter Hausgenosse vergeblich zu erraten suchte.
Noch einmal setzte er an, legte seinen Arm auf ihren und wisperte ihr ins Ohr: »Warum kannst du dich nicht mit dem Erreichten zufriedengeben? Gib ihnen eine schöne Sonntagspredigt, verdüstere dir selber deinen großen Tag nicht, wozu denn? Sprich über die neue Kultur, die neuen Bündnispartner der Burgen, die marsianische Morgenröte, spiel deine verführerische Musik. Welchen Schaden soll das anrichten? Wenn du jetzt einen unerwarteten Haken schlägst und dich in die nächste Kampagne wirfst, werden sie dir Undankbarkeit ... und vielleicht Größenwahn ...«
»Ich kann's nicht mehr gefährden, oder?« zischte sie zurück. »Das Ding ist eingestellt. Ich habe meinen Willen. Ich muß niemanden fürchten, mir wird nichts weggenommen.«
»Doch. Die Anerkennung für das, was du geleistet hast – wenn du sie verspielst.« Sie schnaubte und bedeutete der Seifenblase, schneller durchs Rohr zu rutschen.
Als Padmasambhava den Baum, den sie bislang nur als spintronisches Bild oder Hologramm kannte, das erste Mal leibhaftig vor sich sah – aus irgendeinem ihr selbst nicht durchsichtigen Grund war sie während all der langen Zeit nie dazu gekommen, diesen Platz persönlich aufzusuchen, obwohl sie nicht selten in der Burg gewesen war –,
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