Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Abschaffung der Arten

Die Abschaffung der Arten

Titel: Die Abschaffung der Arten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Dath
Vom Netzwerk:
bin ich durch meinen Erfolg in der Sache, um die es hier heute geht, irre geworden. Diese ganze Messiasidee – schaut in euren Spintroniken nach, wenn ihr das Wort nicht kennt – war vielleicht der Auslöser, aber geschafft habe ich es nicht allein, geschafft hätte ich es alleine niemals. Sankt Oswald, und Eon, und Raphaela, und Lodas, und Parigi, Hjemer, Hillary, Biegar, all die Aristoi und Nichtaristoi, die sich an der Kampagne beteiligt, mit mir gestritten, dadurch meine Position geschärft oder der Sache auf irgendeine andere Art gedient haben – versteht ihr? Ich glaube nicht länger, daß es meine Aufgabe ist, irgendeinen Durchmarsch ... ich glaube jetzt an etwas Gesünderes: Ich bin bloß eine Katalysatorin, eine Person, die etwas erleichtert, das dem Wissensstand meiner ... Gesellschaft schon ... implizit ist. Und in genau diesem Sinne will ich weitermachen, indem ich den formellen und informellen Gremien der Burgen heute eine neue Streitfrage vorlege, damit darüber geredet wird, und etwas entschieden, und dann gehandelt: Was tun wir der Erde wegen? Schicken wir weitere Sonden, schicken wir Radiowellen mit Botschaften, schicken wir eine Delegation? Rüsten wir uns, kümmern wir uns um unsere Verteidigung, nehmen wir Kontakt mit der Venus auf, den anderen ... Taxa, die von den Gente abgezweigt sind?«

    Mit Unruhe hatte sie gerechnet, darauf war sie gefaßt gewesen, dagegen hatte sie sich gestählt.
    Aber was sie in den Gesichtern des Publikums sah, als sie sich zwang, genau hinzuschauen, war schlimmer: ein träges Unverständnis, eine faule Art Irritation – nicht einmal die Abweichung vom vorgesehenen Redestil wurde wirklich registriert, man fand wohl nur, sie spreche zu lang und dazu noch von Dingen, die allenfalls von esoterischem Interesse waren. Am schwersten traf sie Sankt Oswalds Miene, der sie sich zuwandte, um sich dran aufzurichten: Was sie da sah, war weder Sorge noch Zorn noch sonst eine vertraute Regung, die wiederzuerkennen ihr Halt geboten hätte, sondern nichts als Mitleid.
    Die Veranstaltung, die ihren Sieg hätte feiern sollen, war auf eine schwer greifbare Weise Schauplatz ihrer Niederlage geworden – schon konnte sie sich die Meinungen vorstellen, die gerade in den Köpfen der Zuschauerinnen und Zuschauer Gestalt annahmen: Sie ist immer noch nicht zufrieden, wir haben das experimentum gekappt, was will sie noch? Mit Worten, denen sie selbst kaum noch zuhörte, brachte sie, vom Sonnenlicht erleuchtet, als wäre sie ein glühender Brennstab, die Rede zu Ende: »Alles, was ich sage, ist: Die Information steht im Raum. Die Erde schweigt, das ist eine Mitteilung. Keine elektromagnetische Strahlung mehr, keine Radiowellen, keine thermischen Fluktuationen, die auf Industrie hindeuten. Sie ist verstummt. Sie wirkt von außen, wie vor tausend Jahren Mars und Venus wirkten. Wir werden uns dazu verhalten müssen. Ich danke euch.«

    Spärlicher, höflicher, also gehässiger Applaus.
    Ein rascher Abgang, eine schweigsame Fahrt zurück ins Hotel, eine rührend hilflose Geste des einzigen Freundes – er gab ihr die Hand und drückte sie, bevor er auf sein Zimmer ging –, eine heiße Dusche, ein Seufzer, und dann geschah, als Padmasambhava sich gerade hingelegt hatte und nur noch schlafen wollte, lange, ewig schlafen, etwas, das ihr seit dem Verlassen der Gräben nicht mehr widerfahren war: Das Buch des Lebens meldete sich, ohne aufgerufen worden zu sein.
    »Du solltest schnell nach Hause fahren, Padmasambhava.«
    »Streust du jetzt auch noch Salz in meine Wunden? Ich weiß selbst, daß ich hier nicht mehr angebetet ...«
    »Nein, nicht deswegen. Du hast Besuch. In deinem Haus.«

XIV.
MINDERLINGE
1. Fischfang und Floristik
    Im dritten Oberdeck, genau zwischen den beiden blauen Augen des von Zagreus gesteuerten Walhais, die alles, worauf sie gerichtet wurden, sehen, versengen und vernichten konnten, leicht abgesenkt gegen die Augenebene, gab es einen Aquariumstorus, der, wenn er auch erheblich kleiner war, äußerlich stark dem Reifen glich, in dem einst die Borbrucker Koryphäengruppe des Zanders Westfahl Sophokles Gaeta getagt hatte.

    Darin schwammen Fische – eine Seltenheit auf der Venus, sowohl unten am Boden wie hier oben, in den höheren Schichten der Atmosphäre. Vor langer Zeit, als die Siebenvierer mit ihrer Arbeit eben erst begonnen hatten, waren sie von Pilotschwärmen begleitet worden, von fliegenden Dorschen und gelben Haarquallen, aber die meisten dieser Erben der alten

Weitere Kostenlose Bücher