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Die Abschaffung der Arten

Die Abschaffung der Arten

Titel: Die Abschaffung der Arten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Dath
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schäbigen Fetzen verlorenen Lebens gekleidet, in Erinnerungslumpen aus Sachen wie: Kuscheln im Freien während schwüler Juninächte, grünes Gebolze auf schmutzigen Fußballplätzen, Arbeiteraufstände russischer Bergwerksstädte, mittelgute Popmusik, Bindungen an enge Freunde. Informationen über Menschenleidenschaften, an denen Dmitri seit alten Studientagen interessiert war, ließen sich aus den gefrorenen Gesichtern, spektralen Ektoschlieren nicht gewinnen.
    Seeschwalben zeigten dem Wolf, wo entlang es nach Süden ging.
    Er freute sich, weil er wußte: Die sind mindestens so vertrauenswürdig wie sonst die Raben, wollen aber, anders als diese, nicht bezahlt werden: neue Freunde.
    Er hätte auch ohne sie wissen können, wohin er mußte, wenn er bereit gewesen wäre, sich die Nahrungssupplemente verabreichen zu lassen, die ihn Vögeln gleichgemacht hätten, was den Orientierungssinn anging. Magnetische Teilchen aus Eisenmineralspuren in den Schnäbeln; Philomenas ewige Vorträge über mechanosensitive Ionenkanäle, empfänglich für Signale, die in Nervenzeichen umgewandelt wurden, die wiederum das Flugverhalten aller gefiederten Gente ... »Ach Affengepinsel«, spuckte der Wolf aus. Er wollte das alles gar nicht haben, gar nicht wissen: Instinkte konnte man jetzt kaufen, oder der Souverän verlieh sie einem, aber: »Vielen Dank, kein Interesse«, flüsterte Dmitri Stepanowitsch. Er vertraute den Vögeln und wollte sich ansonsten lieber ein paar Kapazitäten freihalten, für später, auf ein anderes Ich hin.

    Der König, dachte der Wolf: Ich liebe ihn und das, was er für uns getan hat. Ich liebe es, für ihn unterwegs zu sein, ich freue mich, daß man einer so sanften und großen Gewalt helfen kann, als einfacher Wolf, ihm und der Sonne heiligem Strahlenkreis, und Dame Liviendas Mysterien, und der Nacht, und allen Kräften der Planetenbahn, durch die wir dem Leben und dem Tod verfallen ...
    Aber etwas fehlte dennoch, wußte der Diplomat: Sertsa.

    Im Lauf der Wochen wurde Dmitri ein gewissenhafter Streuner: Wenn ein Weg aussah, als wären ihn schon viele gegangen, mied der Wolf ihn.
    Morgens gähnte er, daß es ihm den Kiefer ausrenken wollte, rieb seinen Rücken an Akazien und Zedern, aß zum Frühstück Beeren, zum Abendessen Hasen, die keine Gente waren (hier, weit draußen, gab es das noch), und streckte sich mitunter stundenlang. Allmählich kannte er seine Muskulatur, seinen Knochenbau, seine Haut und seinen Pelz gut genug, um sich wieder so darin wohlzufühlen wie seit Welpentagen nicht mehr.

    In einer Höhle im Präferenzgebirge begegnete er Rauhhautfledermäusen, die im Dunkeln Bauteile zusammenfügten. Es ging da um die Fertigung eines neuen großen Fortschrittswunders, das Cyrus Iemelian Adrian Vinicius Golden allen schenken wollte, die unter seinem Schutz standen.
    Die leitende Technikerin war berühmt, Dmitri kannte sie aus Pherinfoplexen, sie nannte sich Izquierda. Er hatte nicht gewußt, daß die an so gut verstecktem Ort arbeitete. Natürlich besaß sie Wohnungen in allen drei Städten, aber von der Höhle hier hatte man noch nie gehört. Izquierda erläuterte dem Wolf, nachdem sie seine Kennung eingelesen hatte, was ihr Projekt bedeutete: »Unser Lenker, du kennst ihn ja. Er traut der Handwerkelei nicht mehr, er will jetzt Nägel mit Köpfen.«
    »Ich glaube«, riskierte Dmitri eine eigene Meinung, »daß ihn der Tag beschäftigt, an dem er einmal nicht mehr für uns wird denken können.«
    »Institutionen schaffen, die leisten können, was der Löwe leistet – das ist sein Ziel, und das wird heikel«, bestätigte Izquierda.
    »Was ist mit der Tochter, Lasara?« fragte der Wolf.
    Die Fledermaus pfiff zwischen den spitzen Zähnchen: »Was soll man sagen? Dynastisches, ich glaube, er mag's rein gar nicht. Außerdem liebt er sie so, seine Tochter, daß er ihr, selbst wenn das Erbrecht gilt, die Entscheidungsfreiheit lassen möchte. Vielleicht will sie ja gar nicht regieren? Keine tausend Jahre alt werden, indem sie ganze Zeitalter verschläft, hoch droben«, die Fledermaus verdrehte beide Augen, die hatten hier, im Kunstlicht, die Farbe von grünem Tee, »hinterm Sandelholz. Wie dem auch immer sei: Er wird sich wohl selbst dann, wenn er vorerst nicht abtritt, auf die Beratungen der neuen kalkulierenden Gewalt stützen, sobald sie fertig ist.«
    Die neue kalkulierende Gewalt: Dmitri erkannte, fasziniert und etwas beunruhigt, wie im Dunkeln Komponenten glänzten; er dachte an geleckten Mondstein,

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