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Die Abschaffung der Arten

Die Abschaffung der Arten

Titel: Die Abschaffung der Arten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Dath
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aus Silber, reich ornamentiert, blitzte in frühen Sonnenflammen.
    Hinter ihr standen, einer Leibgarde gleich, Körper aus Stein, die niemand je anbeten würde.
    »Den Traum haben manche meiner Schwestern ebenfalls geträumt, und wie ich weiß, manche von euch, gar nicht so wenige sogar, auch wenn ihr's euch nicht eingesteht. Ich will ihn euch schildern: In diesem Traum kam eine Menschenfrau mit dichtem schwarzen Haar zu ... den jeweils Träumenden und also auch zu mir. Mein Kragen, ihr seht ihn«, es war ein sehr weiter Kragen, »der war aufgestellt, und ich hatte soeben um die pherinfonische Adresse und Kennung einer Priesterin und Schriftgelehrten gebeten, die uns verlassen wollte, um jenseits der drei Städte, wo noch viele Tiere sind, die keine Sprache haben, diese zu missionieren. Ein Abschied: In dieser Stimmung träumte ich; es war ein Traum vom Segen auf den Weg. Die andern, meine Schwestern, sahen vom Hof aus zu mir her« – das taten sie auch jetzt. »Dies alles geschah im Innern des Tempels, dort hinten, auf der Treppe, überm Rollgitter, das die Priesterinnen vor Feuer schützt. Wir standen in der Türe zum Beratungssaal. Die Frau, die jetzt auf einmal die Schwester war, die uns verlassen wollte – das blendete so ineinander, wie's in Träumen geschieht –, streifte mit der Hand, mit schönen, schlanken Fingern, meinen Kragen, eine zärtliche Geste: Lebwohl. Wir waren, ich weiß nicht wie, Freundinnen. Sie war aber nicht zerstört, nicht wie die Menschen, die es heute noch gibt. Zerstörte Menschen sind ein elender Anblick. Sie war lebendig, sie war wach, sie hatte Ansprüche. Sie beschwerte sich. Der Traum ist aufgezeichnet, übrigens, ich rede nicht von Nebeln, ihr könnt, da ich ihn allen Subskribentinnen unserer wöchentlichen Sendungen und allen, die ihn sonst anfordern wollen, pherinfonisch schicken werde, jedes Wort überprüfen, das ich sage: Es wurde in dem ganzen Traum kein offenes Wort gesprochen, und doch war alles klar und deutlich. Ich wußte, und kann nicht sagen, woher, daß ich am Ziel einer langen Reise angelangt war, vielleicht in einer Zukunft, eher noch in einer absoluten Gegenwart, die zugleich eine von der wirklich erlebten Geschichte abweichende Vergangenheit war. Was gewesen ist, kann verschwinden. Was aber hätte sein können, kann uns niemand wegnehmen.«
    »Abweichende Vergangenheit? Wovon, worin?« fragte eine Insektenkamera.
    »Abweichend vom tatsächlichen Ablauf der Befreiung. Eine Vergangenheit, in der ich nicht aus meinem Elternhaus davongelaufen bin, um mich im Isottatempel vor dem zu verstecken, was kommen muß. Eine Vergangenheit der ...« Sie brach ab, schüttelte den Kopf. Faßte sich, fuhr fort: »Die fremde Frau, das weiß ich, war eine Botin aus dem Bessern.«
    Die Raben klackerten mit ihren Schnäbeln, wagten aber nicht, erneut zu spotten.

    »Sie trug mir auf – in Bildern, Empfindungen mehr als mit Worten –, es zu finden, weiter nichts. Das Wetzelchen.«
    »Was ist das denn? Das Wetzelchen? Wer kennt's, was soll's?« Mehrere Kameras zwitscherten durcheinander.
    »Die Mitteilung ist beendet. Wer mich versteht, versteht mich. Das gilt auch für die, die noch gar nicht wissen, daß sie mich verstehen.«
    »Was soll denn ...«
    »Ich danke euch.«
    Abgeschirmt von ihren Schwestern, die wirkten, als wären sie bereit, notfalls in Verteidigung der ungreifbaren Sache zu sterben, zog sich Elektrizitas Pulsipher in den Tempel zurück, dessen Tore mit einem Krachen verschlossen wurden, das man in allen drei Städten hörte.
    Es sollte bis zum Beginn des Krieges das letzte sein, was man von den Vestalinnen gehört hatte.
2. Audienzangst
    Vor den Löwen selbst gerufen werden: eine anstrengende Ehre.
    Gente waren dabei schon um den Verstand gekommen; wenige, die zurückkehrten, konnten schildern, was sie gesehen hatten.
    Das Gesicht: Zwischen den schlängelnden Florungen der Mähne spukten Lichter wie Wasserläufe, leuchteten Augen wie Doppelsonnen, wurden Worte groß wie Donner, sah man riesenhafte Zähne.
    Waren es zwei Augen, oder hatte er drei, oder war es nur eines, das aber alles sah?
    Dmitri Stepanowitsch konnte sich, so sehr er es versuchte, für keine dieser einander ausschließenden Wahrnehmungen entscheiden. Weil er aber klug war, setzte er jedes Urteil aus und gab lieber acht auf das, was der Erwachte ihm zu sagen hatte.

    »Wölfchen. Weit herumgekommen. Du bist von meinen Dienern der nützlichste, der freiste. Du dienst mir eigentlich gar nicht, deshalb

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