Die Abschaffung der Arten
Tourismus. Wollten, was wir hier wollen: Löwen und Giraffen anschauen, die keine Sprache hatten.«
»Gibt's immer noch, stimmt«, sagte Anubis. »Cyrus Iemelian Adrian Vinicius Golden, möge er alt werden wie Dreck, ist natürlich sentimental. Beziehungsweise sentimental natürlich, ihr wißt schon. Er läßt den Vernunftlosen ihre ... wie hieß das in der Langeweile? Reservierungen?«
»Reservate«, wußte Hecate.
Huan-Ti gähnte lang und sagte dann: »Immerhin, wenig Menschenscheiße, kann man dankbar sein.«
Es war keine Metapher – am Rand der drei Städte fand man inzwischen, seit die Gente ihre Abfälle nicht mehr in die suburbanen Elendsgürtel kippten, sondern in großem Umfang wiederverwerteten, nur noch Müll, Ausscheidungsprodukte oder Leichen der letzen Versteckten mit den verkrüppelten Händen.
Sie waren in Katakomben und einsturzgefährdeten Ruinen von Bauwerken untergekrochen, die zu Siedlungen gehörten, welche der Löwe nicht der Aufnahme in eine seiner Megastädte für würdig befunden hatte.
Menschenscheiße: Der also hatten die drei Helden, neben der zunehmenden Krisentristesse, entkommen wollen, um ihre Tatzen, Hufe, ihr Fell an einer interessanteren Wirklichkeit zu reiben.
Huan-Tis Bemerkung regte Anubis, der immer gern alles genau wissen wollte, dazu an, in den Spitzenfasern eines Grasbüschels nach der präzisen Zahl der überlebenden Vorfahren zu riechen. Es gab hier, im brütenden Land, nur wenige codierte Wissensadern, die man anzapfen konnte, aber die gelben Schafte und die in Duftporen eingedrehten Indizes verrieten dem Marder, daß er sich das richtige Gewächs ausgesucht hatte: Wie viele Menschen, fragte er, gibt es noch auf der weiten Wallstatt, die Afrika geheißen hat?
»Ein paar hunderttausend«, erwiderten die nichtlokalen Speicher.
Das Frettchen wollte dieses beruhigende Wissen gerade mit seinen Gefährten teilen, als der weiße Tiger »psst« machte und den andern ein stummes Zeichen blinzelte: Schaut, drüben!
Sein Kopf nickte in Richtung der selbstvergessenen und weltlosen Cousins und Cousinen des Königs.
Die auf einer weizengelben Anhöhe ausruhende Löwengroßfamilie dachte sichtlich an nichts Böses. Eine sehr schöne Löwin, wohl die Erwählte des abwesenden Alphatiers, ging von der wohlig ausgestreckten Haltung großer Ruhe eben in ein gespanntes Lauern über, das von einer Witterung herrührte, die sie aufgenommen hatte.
»Beute! Jetzt wird's lustig!« zwinkerte Hecate, die froh war, daß sie mit ihren Freunden im Gegenwind stand und überdies im Schutz zweier ausladender Pantherbäume.
Das Frettchen flüsterte einen seiner zu Hause so beliebten Sprüche: »Hier passiert gleich was, und das meiste, was passiert, trägt sich ja bekanntlich in Form von Ereignissen zu.«
Huan-Ti, dessen grüne Augen weiter und schärfer blickten als die kastanienfarbenen der Tinkerstute und die silbernen des kauernden Anubis, war der erste, der erkannte, was die Löwin geweckt hatte: Drei schwere füllige Büffel und ein staksendes Kälbchen, die keine Ahnung von der Gegenwart der Jäger drüben zu haben schienen, näherten sich in ruhigem Trott dem kleinen See.
Sie kamen übern Hügelkamm, direkt auf die Löwen zu, aufs Verderben.
In seinen Muskeln spürte das kräftige Pferd, an das die Freunde sich jetzt enger schmiegten, daß sich etwas Subtiles verändert hatte; daß hier jetzt Trommeln pumpender Herzen die Zeit maßen, nicht mehr die gemächlich durchs Gras ziehenden Winde.
Die Löwen liefen los.
Die Büffel erschraken, wandten die Köpfe, bockten.
Ihr Laufschritt geriet aus dem Rhythmus. Der massigste floh vorneweg, schlug sich ins hohe dürre Gras, war gleich verschwunden. Die beiden andern erwachsenen, scheuend und wirr, Kopf an Kopf, wichen hinterm Wasser zum flachen Durchgang zwischen zwei Hügeln aus. Das Kälbchen aber fiel zurück und wurde von einer der jüngeren Schwestern der ersten Löwin angegangen, hart gerammt und umgestoßen. Es stolperte, trat kraftlos aus, kippte nach links und fiel ins Wasser. Gleich waren zwei weitere Löwinnen über ihm, auf ihm, an seinem Hals, an seiner Flanke.
Brackiges Seewasser spritzte, da war schon Blut.
»Dicke Haut«, hoffte Hecate, »da frißt man sich nicht so schnell durch.«
Rost zwischen Grün: Was geschah? Das Frettchen versuchte, den Blick schärfer einzustellen. Das Beißen und Tatzenhauen wütete im Schatten eines Strauchs, der mitten ins Wasser hing. Zwei der Löwinnen lehnten sich auf den gefallenen
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