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Die Abschaffung der Arten

Die Abschaffung der Arten

Titel: Die Abschaffung der Arten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Dath
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herunterrutschten.
    »Das? Die? Fische mit Beinen und geschrumpfte Pinguine! Meine Crew!«
    Wirst nichts Billigeres gefunden haben, dachte der Wolf.

VIII.
ANTILEONISMUS
1. Lichtung
    Wo weißer Schaum schartig gespülte Rinnen im schwarzen Gestein füllte und grün zwischen Steinen in die Tiefe stürzende Fälle einander beim Tosen und Rauschen übertrafen, zeigte sich Frau Späth jeden Abend unter einem großen Baum. Vor vielen Träumen hatte sie in einer vergessenen Quelle gelesen, daß der Buddha, um Buddha zu sein, einen Baum brauchte. Da sollte er sich druntersetzen und zielstrebig seiner Erleuchtung entgegenmeditieren. Sie setzte sich nicht oft; der Gedanke an Erleuchtung war ihr unheimlich, die letzte, die sie erlebt hatte, zitterte noch nach in ihr.

    Meist ging sie, wenn sie ihren Baum besucht hatte, zum unbehauenen Monolithen am großen Becken unter den Fällen. Da redete sie dann mit unbekannten Größen, die von Erleuchtung auch etwas verstanden. Alle diese Größen waren Fronten für die junge Göttin, der dieser Wald gehörte.
    Eines Abends war die Göttin gut gelaunt.
    Katahomenleandraleal freute sich, daß ihr ein wertvoller Kopf, den sie mit hohem Aufwand hatte jagen wollen, ohne jede Mühe in die Hände gefallen war. »Sie hat sich ganz formlos ergeben. Vermutlich glaubt sie, daß sie damit Milde erwirkt, für ihre lebendigen Spielsachen. Ich habe ihre fliegenden Kätzchen allerdings zunächst beseitigt. Die Baupläne bleiben aber; es mag später einmal neue geben. Die Konstruktion der kleinen Schwingen allein ... ich habe sie einigen meiner Mädchen angepaßt, allerdings präziser eingefaltet.«
    »Werde ich sie treffen? Die Gefangene?«
    »Nein, tut mir leid. Was sie war, ist auch ... weg. Ich mußte das ... wie würdest du sagen, in deinen vier Dimensionen? Aufschneiden. Um ans Wertvolle zu gelangen.«
    Frau Späth sah einen Polstersessel vor sich, in den jemand einen Schlitz hieb, daß die Füllung herausquoll.
    »Das war wirklich nötig, ja?«
    »Wie sonst hätte ich erfahren sollen, was sie wußte?« Es klang fast beleidigt; die Göttin war ein Kind, ein grausames, sehr junges.
    »Du hättest fragen können.«
    »Ach, ihr Bewußtsein ... das war alles von ... Ästhetik und Moral und andern Schrullen verklebt, für so viel Säuberungsarbeit fehlt mir die Zeit.«
    »Sie wollte dir doch ausliefern, wer sie ... war, oder nicht?«
    »Was sie wußte, ist anregend. Was sie war, ist überholt.«
    Frau Späth wunderte sich, daß sie nach allen düsteren Wundern, die sie in ihrem langen Leben gesehen hatte, noch zur Bestürzung fähig war. So ging das also zu: Eine aus der ersten Generation der Gente, eine aus der Population der mächtigsten Geschöpfe, die je den Planeten bewohnt hatten, war von Katahomenleandraleal ganz nebenbei vertilgt worden. Bei der Befreiung, die der Löwe und die seinen errungen hatten, war es um nichts anderes gegangen als »Transzendenz in Permanenz«, so hatte damals die Losung gelautet, Frau Späth erinnerte sich noch gut: Sich selbst im Diesseits verewigen, das wollte man. Jetzt aber mußten diese Leute lernen, daß auch über sie hinweggeschritten werden konnte, daß auch sie selbst transzendierbar waren.
    Frau Späth fiel eine Arie aus einem alten Libretto ein, das ihr ein guter Freund für ihre Oper »Brouwer« geschrieben hatte: »Nur weil Großmutter siebenmal ins Krankenhaus gefahren ist und siebenmal wieder heim, heißt das nicht, sie ist unsterblich.«
    Im Gegenteil, fiel Frau Späth jetzt auf, die Wahrscheinlichkeit, daß die arme Alte es auch diesmal schafft, sinkt mit jedem Lazarettabstecher, der Rest ist Statistik (oder Stochastik? Sie hatte das schon damals immer durcheinandergebracht, genau wie Entropie und Chaostheorie und den übrigen Schnickschnack, von dem sich dann herausgestellt hatte, daß er viel wichtiger für den weiteren Geschichtsverlauf war als alles im engeren Sinn politische Vokabular). Der nächste Krieg mag wieder nicht der letzte sein. Für Ungezählte, die er umbringt, ist er's aber. Wie hatte Aylett damals geschrieben? Blut kann man nicht zählen.
    »Blut kann man nicht zählen«, sagte Frau Späth der Göttin.
    Die lachte königlich und verschwand.

    Am nächsten Abend setzte sich Frau Späth ausnahmsweise in Lotusstellung unter ihren Baum.
    Mein stiller Winkel: Ich fühle mich hier in Ruhe gelassen, gerade weil es so eintönig laut ist, von den Wasserfällen her. Bestimmte brausende Formen von Lärm sind, wenn man sich in ihnen nur

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