Die Achte Fanfare
»Die Fußböden?« fragte er.
»Wir haben sie abgesucht und elektronisch überprüft. Keine fremden Fußabdrücke, nur die von Lime.«
»Das muß nichts heißen. Der Mörder hätte Schuhe mit teflonüberzogenen Sohlen tragen können. Dann hinterläßt er keinerlei Spuren oder Abdrücke.«
»Sicher, nur … Teflon knirscht auf Holz. Dann hätten wir was auf dem Band gehört.«
Der Fährmann sah sich weiter um. Sein Blick konzentrierte sich auf das Fenster. »War das Sonntagabend geöffnet?«
»Ja, aber die Glasvorhänge waren zugezogen. Sie sind mit Stahlfasern verstärkt. Sie sind kugelsicher und standen unter Strom. Unser Mann ist nicht durch das Fenster gekommen. Nichts Lebendiges konnte dort eindringen.«
Der Fährmann sah noch immer zum Fenster. »Ein Strahl«, sagte er. »Ein Strahl, der aus beträchtlicher Entfernung abgeschossen wurde. Den halten deine Stahlfasern nicht auf.«
»Aber ein Strahl hätte an den abgetrennten Körperteilen bestimmt Hitzeränder hinterlassen. Limes Glieder wurden sauber durchtrennt. Wie von einem Schwert wie das, das Sie in Vermont poliert haben. Das ist die wahrscheinlichste Möglichkeit.«
»Geschwungen von einem Mörder, der unmöglich in diesem Raum sein konnte.«
»Die Theorie ist nicht unumstößlich.«
»Ich möchte einen Freund hinzuziehen«, sagte der Fährmann. »Den Erfinder.«
»Die besten Köpfe unseres Landes haben sich schon damit befaßt.«
»Ihre Nachforschungen gehen von dem aus, was sie für einigermaßen realistisch halten. Mein Freund trifft solche Voraussetzungen nicht. Er akzeptiert erst einmal den Tatbestand, wie er sich hier darstellt.«
»Einverstanden. Wir übernehmen sämtliche Kosten.«
Die Sonne ging unter, als Kimberlain den Wagen in eine Parklücke in der Nähe des Sunnyside Railroad Yard lenkte, einem Friedhof für ausgediente Eisenbahnwaggons in New Jersey, in unmittelbarer Nähe der Penn Station, direkt neben dem Tunnel, der unter dem Hudson verlief. Er spurtete über die toten Gleise, als seien sie noch in Betrieb.
Die grauen und braunen Stahlkadaver der Waggons der Gesellschaften Amtrak und New Jersey Transit dehnten sich hier auf fast zweihundert Meter aus; die Reihen waren so dicht beieinander, daß Kimberlain sich kaum quer zwischen ihnen hindurchschlängeln konnte. Die beiden rostbraunen Waggons, die er suchte, hatten Fracht und keine Passagiere befördert. Sie standen ein Stück von den Reihen der Amtrak-Waggons entfernt und waren in relativ gutem Zustand; sie schienen geradezu darauf zu warten, wieder an Lokomotiven angekoppelt zu werden.
»Hier ist der Fährmann«, sagte er leise in einen schmalen Schlitz, der in Augenhöhe in einen der rostroten Waggons gemeißelt war. Die hintere Tür des Waggons öffnete sich mit einem vertrauten Wusch.
»Willkommen an Bord«, sagte Captain Seven.
Seit Kimberlain den Captain kannte, hing sein Haar wild und ungekämmt über seine Schultern hinab. Der einzige Unterschied waren einige graue Stellen an den Schläfen, die erst vor kurzem aufgetaucht waren. Er trug abgeschnittene Jeans, die seine dünnen, knochigen Beine freiließen, und eine Lederweste über einem schwarzen Grateful-Dead-T-Shirt. Ein Medaillon mit einem Friedenszeichen aus den sechziger Jahren baumelte an seinem Hals, wenngleich er einen großen Teil dieses Jahrzehnts in Vietnam gekämpft und nicht dagegen protestiert hatte. Kimberlain kannte den richtigen Namen des Captains nicht, hatte ihn niemals gekannt. Er kannte ihn nur als ausgeflippten Techniker, der buchstäblich aus zwei kaputten Toastern ein funktionstüchtiges Funkgerät basteln konnte und sich in Vietnam als brillanter Sprößling des siebenten Planeten eines anderen Sonnensystems ausgegeben hatte. ›Captain‹ war nicht sein wirklicher Rang, doch es klang ganz gut, wenn man danach das ›Seven‹ – also der siebente Planet – folgen ließ. Er schien die Absicht zu haben, seine bürgerliche Identität nie wieder aufzunehmen, und Kimberlain hatte ihn auch nie danach gefragt.
»Hoffentlich willst du dich nicht über deinen Videorecorder beschweren«, sagte der Captain.
»Nicht die Bohne. Er läuft wie geschmiert.«
»Was auch sonst«, sagte Seven stolz.
Kimberlain folgte ihm über die Schwelle in sein alles andere als bescheidenes Heim. Die Einrichtung war beeindruckend. Jeder leuchtend schwarze Sessel war handgearbeitet und genau den Räumlichkeiten angepaßt. Ebenfalls auf Maß gearbeitete Schränke und Regale waren vom Boden bis zur Decke mit
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