Die Achte Suende
schwierigste Teil seiner Aufgabe. Denn vorausgesetzt, seine Hypothese ist richtig, so trägt nach den Mendelschen Erbgesetzen jeder Mensch das Gottes-Gen in sich. Bleibt also nur das Turiner Grabtuch mit den Blutresten des Jesus von Nazareth.« Gruna lachte. »Was meinen Sie, warum der Vatikan alles daran setzte, das Original im Dom von Turin gegen eine Fälschung auszutauschen? Mit den heutigen Mitteln könnte man ohne Weiteres die Blutgruppe unseres Herrn Jesu bestimmen. Kennen Sie einen Gott mit Blutgruppe O oder AB? Wir haben hier das echte Leintuch. Und Jesus kann dieses Gottes-Gen nicht in seiner DNS gehabt haben, sonst wäre er ja nicht Gott gewesen, sondern ein ganz gewöhnlicher Mensch.«
Bei den letzten Worten Grunas zuckte ein Blitz, ein gewaltiger Feuerstrahl über den dunklen Himmel, gefolgt von einem donnernden Paukenschlag, der die Fundamente von Burg Layenfels erzittern ließ. Man hätte meinen können, das alte Gemäuer würde jeden Augenblick einstürzen. Dabei roch es nach trockenem Rauch und Schwefel, als sei der Teufel soeben aus einem Erdspalt gefahren.
Das also war das Geheimnis von Burg Layenfels! Malberg war wie von Sinnen. Was Gruna und Dulazek in trockenen Worten berichteten, hatte genug Sprengstoff, um die Welt aus den Angeln zu heben, genug Zündstoff für ein neues Zeitalter.
Unfähig, einen anderen Gedanken zu fassen, stammelte Malberg: »Und warum erzählen Sie mir das alles? Ich bin für Sie ein Fremder und nicht einmal Mitglied Ihrer Bruderschaft!«
»Eben deshalb!«, beteuerte Gruna. »Wie Sie schon bemerkt haben, ist auf Layenfels beinahe jeder eines jeden Feind. Aber wenn einer von nahezu allen gehasst wird, dann ist es Professor Murath.«
»Wir wollen ehrlich sein«, fuhr Dr. Dulazek fort. »Bisher ist es uns gelungen, Muraths Forschungsergebnisse mit einem plumpen Trick zu sabotieren. Wir haben alle Proben mithilfe von Taubenblut verfälscht. Murath wird auch mit der neuen Stoffprobe keine Freude haben. Heute Nacht wird er entdecken, dass auch sein letzter Versuch ein Fehlschlag war. Dafür haben wir gesorgt.« Dulazek grinste. »Der Alte wird verrückt werden! Aber früher oder später wird Murath uns vielleicht auf die Schliche kommen. Spätestens dann, wenn Sie das Mendelsche Buch entschlüsseln und der Professor seine Hypothese bestätigt findet. Diesen Erfolg gönnen wir jedem, nur nicht Murath! Deshalb haben wir uns gedacht, Sie könnten vielleicht …«
Weiter kam er nicht. Erneut zuckte ein gelblicher Blitz über den Himmel, unmittelbar gefolgt von einem wuchtigen Donnerschlag.
Die drei Männer zogen die Köpfe ein und drängten zum Treppenabgang. Ein Sturm kam auf und riss Gruna die schwere Holztür aus der Hand. Mit voller Wucht krachte sie gegen Malbergs rechte Schläfe, sodass er benommen zu Boden sackte.
Unter dem schützenden Dach des Treppenhauses kam er nach ein paar Augenblicken wieder zu sich. Dicke Regentropfen prasselten auf die Ziegel. Malberg lag auf dem obersten Treppenabsatz. Verwirrt blickte er in die besorgten Gesichter von Gruna und Dulazek, die sich über ihn neigten.
»Können Sie mich hören?«, rief Gruna mehrere Male hintereinander, als wäre er, Malberg, von allen guten Geistern verlassen.
»Ja«, antwortete Malberg zaghaft. Es dauerte eine Weile, bis ihm klar wurde, dass er alles das, was langsam in sein Gedächtnis zurückkehrte, nicht geträumt hatte.
Kapitel 59
Sturm und Regen, Blitz und Donner hielten den ganzen Tag über an. Erst als die Dämmerung hereinbrach, beruhigte sich das Wetter. Da machte sich Malberg auf den Weg zum Archiv im sechsten Stock.
Den ganzen Tag hatte er damit verbracht, die neuen Erkenntnisse, die Gruna und Dulazek ihm vermittelt hatten, in das Geschehen der letzten Wochen einzuordnen. Mit einem Mal war ihm auch klar, warum das winzige Stück Leinen aus dem Turiner Grabtuch, das Brandgesicht ihm zum Kauf angeboten hatte, so viel kosten sollte. Jetzt wusste er auch, warum Anicet bereit war, für das verschollene Buch des Gregor Mendel eine aberwitzige Summe zu bezahlen. Mendel, der Vater der Vererbungslehre, hatte sich lange vor Murath mit demselben Thema beschäftigt. Ein seltener Zufall war es allerdings, dass Anicet wie Mendel sich desselben Satzes der Apokalypse des Johannes bedienten, Kapitel 20, Vers 7. Aber sein Inhalt kam wohl beiden auf geheimnisvolle Weise entgegen:
Wenn die tausend Jahre vollendet sind,
wird der Satan losgelassen werden aus dem Kerker.
Der Augustinermönch Gregor
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