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Die Ängstlichen - Roman

Die Ängstlichen - Roman

Titel: Die Ängstlichen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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spürte er das Eindringen der kühlen Nässe in den Stoff. Lustvoll trat er in die Pfützen, denn es waren nur noch ein paar Straßen, und er war am Ziel und wieder zu Hause. Endlich.
    Wie oft hatte er sich auf seiner Flucht vorgestellt, aus der Nacht aufzutauchen wie ein hell leuchtendes Gestirn, strahlend vor ihr zu stehen und die Tickets auf den Tisch zu legen. Und nun, da er auch die letzte Hürde genommen und einen Teil des Geldes, das Ben ihm besorgt hatte, in Billetts für zwei Außenbordkabinen der berühmten Marco Polo angelegt hatte, stand ihrer Reise nach Südamerika nichts mehr im Weg.
    Janek stellte sich amüsiert Johannas überraschten Gesichtsausdruck vor, wenn er mit den weißen Lilien, die sie so mochte, im Hof am Fenster stehen und mit den Fingern gegen die Scheibe klimpern würde.
    Sie würden endlich alles hinter sich lassen, Dreyfuss, Hanau und alles andere. Er malte sich, wie er so mit tief in die Schultern eingezogenem Kopf durch den Regen lief, genüsslich aus, wie sie anschließend zusammen in der Küche säßen, etwas tranken, sich bei den Händen hielten und Pläne schmiedeten.
    Ein Fahrzeug kam ihm entgegen, dessen Scheinwerfer ihn kurz aus dem Dunkel rissen. Er durchquerte nun den ehemaligen, mittlerweile in eine Parkanlage umgewandelten Spielplatz an der Reinhardskirche, auf dem er Ben vor vielen Jahren, der Junge mochte damals höchstens zwölf oder dreizehn gewesen sein, dabei zugesehen hatte, wie er sich, den Lederball am Fuß führend, immer wieder umsah, ob er ihn dabei beobachtete, wie er die anderen lässig umdribbelte.
    Ach, dieser Junge und seine Träume!, dachte Janek. Sie würden ihm von der Marco Polo aus eine Karte schreiben und ihm später einmal alles erklären.
    Inzwischen stand er auf der Mittelstraße und dachte: Jetzt sind es nur noch ein paar Schritte. Zwischen den von der Laterne milchig-weiß angestrahlten Kronen der Linden erhob sich der Turm der Friedenskirche in den dunklen Himmel, und Janek konnte hören, wie das von den windbewegten Blättern herabtrudelnde Wasser in die Pfützen fiel.
    Als er vor dem Haus mit der Nummer 10 stand, schälte er die durchweichten Papierfetzen vom Blumenstrauß, nahm die Lilien heraus und lockerte das Bund durch sanftes Hin-undher-Schütteln ein wenig auf. Dann ging er in den Hof, drückte sekundenlang sein feuchtes Gesicht in das duftende Bouquet und trat vor das schwach erleuchtete Fenster. Wie zum Gruß erhob er die rechte Hand, doch dann stockte sein Atem.
    Zuerst begriff er nicht, was er, verzerrt durch die an der Scheibe klebenden Wassertropfen, erblickte; als weigere sich sein Körper, das Gesehene in sein Gehirn zu transportieren. Und auch nach längerem Starren wollte sich einfach kein Gefühl einstellen, das ihm bewies, was er sah: ihre Beine mit den krampfartig nach unten gestreckten, in der Luft schwebenden Füßen, die seitlich herabhängenden Arme und den leicht zur Seite geneigten Kopf, der von der Schlinge gehalten wurde wie ein Schiffbrüchiger von einem Rettungsring auf hoher See.
    Auf dem zur Seite geschobenen Küchentisch lag der Lampenschirm, den sie abgenommen hatte, um das Seil an dem Deckenhaken festzumachen. Daneben der Stuhl, auf den sie gestiegen sein musste. Zuletzt glitt sein Blick hinauf zu ihrem Gesicht mit den erloschenen Augen und der zwischen den leicht geöffneten Lippen hervorschauenden Zunge.
    »Johanna!«, hauchte er. »Johanna.« Wieder und wieder stricher über die nasse Fensterscheibe. Irgendwann glitten die Lilien zu Boden, und er schlug seine Stirn so fest gegen das Glas, dass es zersprang.
     
    Einen Moment lang hatte das Leben den Jansens die Füße unter den Beinen weggezogen und ihnen damit eine Chance gegeben. Doch kaum einer hatte sie für sich zu nutzen gewusst. Nur Johanna hatte am Ende ihrem scheinbar vorgezeichneten Schicksal getrotzt und einen Weg beschritten, der für sie nicht vorgesehen war. Die anderen aber würden bleiben, was sie immer gewesen waren: Ängstliche, die vor allem eins gelernt hatten: Durchhalten, Aufrechterhalten, Haltung bewahren – um jeden Preis. Und das Leben ging weiter, immer weiter, unaufhaltsam. Konrad hatte das schon vor Jahren begriffen, und nun wussten es auch die anderen.

Dank
    Ich möchte all jenen danken, die mir bei der Niederschrift dieses Buches direkt oder indirekt behilflich gewesen sind. So danke ich meinen ersten Lesern Alexander Häusser und Wolfgang Zahner, deren Zuspruch mich weiterbrachte. Christian Försch danke ich für seine

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