Die Ängstlichen - Roman
der Sache wieder rauskommen will!«
»Hallo! Das brauchst du auch gar nicht, denn sie
will
überhaupt nicht raus aus der Sache«, konterte Ulrike. »Wann kapierst du das endlich? Ich habe vielmehr den Eindruck, dass es dir aus irgendeinem Grund mächtig gegen den Strich geht, dass sie die Ankergasse aufgeben will …«
»Mir? Dass ich nicht lache! Es ist nur so, dass …«
»Dass was?«, rief Ulrike.
»Jetzt halt doch endlich mal den Mund und lass mich ausreden, verdammt noch mal!«, schrie Helmut und sprang auf. Nun standen sie sich wie zwei kampfbereite Faustkämpfer gegenüber, und es hätte bloß noch gefehlt, dass sie die Hände zu Fäusten geballt hätten.
»Wie komme ich dazu, mir von dir den Mund verbieten zu lassen?«, rief Ulrike und machte Anstalten, nach ihrer Handtasche zu greifen. »Ausgerechnet von dir?«
»Ja, mach dich nur aus dem Staub!«, stichelte Helmut. »Prima, weiter so!«
Da betrat Johanna das Wohnzimmer, sie hatte sich umgezogen und trug nun eine hellblaue Bluse und einen dunkelblauen Rock. Ihre Augen waren sichtbar gerötet. Doch ehe sie imstande war, etwas zu sagen, ergriff Ben das Wort und rief: »Was ist denn los mit euch? Spinnt ihr eigentlich? Johanna hat sich eine Riesenmühe gemacht, hat gekocht und gebacken, und ihr habt nichts Besseres zu tun, als ihr alles kaputt zu machen! Was soll denn das?«
»Du sollst dich raushalten, habe ich gesagt«, zischte Helmut, der offenbar und gegen alle Vernunft bereit war, den eingeschlagenen Weg bis zum bitteren Ende zu gehen. »Das hier ist eine Sache zwischen Ulrike und mir! Und wenn wir schon dabei sind, Ulrike – deine Art, anderen in den Rücken zu fallen, war mir schon immer suspekt. Ich frage mich ernsthaft, wie Rainer es so lange mit dir ausgehalten hat.«
»Das reicht jetzt, Helmut!«, brüllte Johanna dazwischen und begann zu schluchzen.
»Nein, lass ihn nur reden!«, rief Ulrike, deren Oberlippe zu flattern begann. »Gut, dass er endlich sagt, was er wirklich denkt!«
»Hört auf!«, rief Johanna. »Bitte!« Doch so, als hätte er den Wunsch seiner Mutter überhaupt nicht gehört, stemmte Helmut entschlossen beide Arme in die Hüften und schrie: »Du bist offenbar schon genauso verrückt, wie es Paul war! Fehlt bloß noch, dass du anfängst, Gespenster zu sehen. Denn spinnen tust du ja schon! Und zwar ganz gehörig, meine Liebe!«
»Tut mir leid, Mutter, aber das war’s für mich!«, sagte Ulrike. »Was zu viel ist, ist zu viel! Sei mir nicht böse, ich rufe dich an!«
Ulrike nahm eilig ihre Handtasche, warf Ben zum Abschied einen flüchtigen Blick zu und lief in die Diele.
»Das hast du ja fein hingekriegt, vielen Dank, Helmut!«, sagte Johanna verbittert und lief mit Tränen im Gesicht ihrer Tochter nach. Im Treppenhaus wurden Geräusche laut, und die Haustür wurde zugeschlagen. (Kurz darauf konnte Ben, den es nun auch nicht mehr auf seinem Platz hielt, hören, wie Ulrike draußen den Motor anließ und davonfuhr.)
Und dann stand er vor Johannas Schlafzimmer und legte sein Ohr an die verschlossene Tür, während Helmut, mit seinem Glas in der Hand, im Wohnzimmer aus dem Fenster sah. Johannas Schluchzen war selbst dort noch deutlich zu vernehmen.
»Johanna! Ich bin’s, Ben!«, rief er und legte seine Hand an die Tür.
»Lass mich, bitte!«, antwortete Johanna. Da spürte er am Hinterkopf den Luftzug, den sein Vater verursachte, als er an ihm vorbei in die Küche lief.
»Gehst du auch?«, rief Ben ihm hinterher.
»Sag ihr, dass … ach, sag lieber nichts«, erwiderte Helmut und verließ ebenfalls die Wohnung. Draußen fiel die Haustür ins Schloss.
»Er ist weg, Johanna!«, rief Ben. »Du kannst rauskommen!«
J ohanna hätte nicht sagen können, wie lange sie schon reglos in der Dunkelheit saß und in die Stille des Zimmers und der Wohnung horchte. Doch mit jeder Minute, die gleichförmig verstrich, kamen ihr die Ereignisse des Nachmittags irrealer vor, wie ein böser Traum.
Der schwach zum Fenster hereindringende Schein der Straßenlaterne verlieh den auf dem Tisch stehenden Gegenständen eine magische Unschärfe.
Alles war mit der einsetzenden Dämmerung ein bisschen mehr von ihr abgerückt. Und wenn sie jetzt an den dummen und völlig überflüssigen Streit, der sich in diesem Zimmer ereignet hatte, zurückdachte, schien es ihr so, als hätte sie damit nicht mehr das Geringste zu tun.
Sie hätte alles zügig abdecken und abspülen und die Reste, auf ihre Tupperware-Schüsseln verteilt, in den
Weitere Kostenlose Bücher