Die äußerst seltsame Familie Battersby (German Edition)
man ihn, je offener er seine Selbstverliebtheit zur Schau stellte, umso mehr ins Herz schließen würde. Unter der halb geöffneten Sweatshirtjacke knubbelten sich die Halsbündchen von mindestens vier übereinander gezogenen T-Shirts. Sein Gesicht war voller Akne.
Der Typ, der nicht älter als fünfzehn war, hielt schnittig am Bordstein, öffnete die Beifahrertür, legte eine Hand aufs Dach und nahm seine Piloten-Sonnenbrille ab. »Bist du Ralph?«, fragte er.
»Bin ich, ja.«
»Passt. Steig ein!«
Kaum dass Ralph neben ihm saß, rasten sie vom Parkplatz auf die verschlafene Hauptstraße. Die Reggaemusik, die der Junge in voller Lautstärke aufgedreht hatte, und das halsbrecherische Tempo hinderten Ralph daran, ein Gespräch anzufangen. Der Typ schien sich zwar aufs Fahren zu konzentrieren, das hielt ihn aber nicht davon ab, sich mit coolen Gesichtsausdrücken wie für ein Musikvideo in Pose zu setzen.
»Bist du Cecil?«, versuchte es Ralph schließlich.
»Jepp. Meine Erzeuger waren beschäftigt, und ich bin von meinen Geschwistern der Einzige, der fahren darf. Eigentlich hab ich noch keinen Führerschein. Aber das ist meinen Erzeugern egal. Die zahlen, wenn ich geschnappt werde. Ich brauche das Auto, weil ich in einem Klamottenladen in der Stadt arbeite. Ich finde, wir sollten den Kontakt zur arbeitenden Bevölkerung nicht verlieren, verstehst du? Mutter war voll scharf darauf, dass wir uns im Sommer alle auf das Schloss zurückziehen – die Familie ist halt so ihr Ding. Da hab ich sie dazu überredet, mir das Auto zu geben. Nach dem Führerschein hat sie nicht mal gefragt. Die ist voll neben der Spur.«
»Ich bin Ralph«, sagte Ralph nach einer längeren Pause, ehe ihm einfiel, dass sie das eigentlich schon geklärt hatten.
»Hmm-hmm.«
»Wie ist denn euer Schloss so?«
Cecil zuckte die Schultern. »Keine Ahnung, ist halt ’n Schloss. Aber da fahren wir jetzt sowieso nicht hin.«
»Nein?«
Cecil fand Ralphs Frage offenbar so überraschend, dass er seine Sonnenbrille auf der Nase nach unten schob und ihn über den Rand hinweg ansah. »Das weißt du nicht? Warum bist du denn sonst in den Flieger gestiegen?«
»Nee, ich weiß nichts. Warum bin ich denn in den Flieger gestiegen?«
»Wir gehen zu einer Beerdigung. Ich hatte mich schon gefragt, warum du Sneaker anhast.«
Ralph tat, als verstünde er, worum es ging, und nickte.
»Die da.« Cecil zeigte auf Ralphs Füße.
»Ach, die Turnschuhe.«
»Ist mir egal, wie du sie nennst.«
Ralph war noch nie auf einer Beerdigung gewesen und schon gar nicht auf einer englischen. Er wusste nicht, was ihn erwartete, ja nicht einmal, wer gestorben war. Aber irgendwie waren Beerdigungen nichts, wozu man neugierige Fragen stellte. Also starrte er lieber aus dem Fenster und konzentrierte sich darauf, die dröhnenden Reggaerhythmen an sich abprallen zu lassen.
»Was machst du in dem Klamottenladen?«, fing er nach einer Weile doch wieder an.
»Ich arbeite da. Ich bin Ar-beit-neh-mer.«
»Aha. Ich wollte eigentlich wissen, was du da konkret so machst.«
»Oh, ich arbeite im Lager, tausche Glühbirnen aus, dekoriere die Schaufensterpuppen, solche Sachen halt.«
»Ehrlich? Das macht bestimmt Spaß.«
»Das nennt man Berufsleben . Das hat nichts mit Spaß zu tun.«
»Okay.«
Beide schwiegen. Nach einer Weile sagte Cecil dann: »Also, hör zu: Stell dir vor, das Schuljahr beginnt, okay? Und ich muss die Puppen dekorieren. Ich habe einen ganzen Stapel Klamotten, frisch geliefert, und stiefele damit nach vorn. Der Laden hat so runde Schaufenster, weißt du, und das Einkaufszentrum ist total überfüllt, weil halt die Schule wieder losgeht. Und jetzt muss ich vor all diesen Leuten die Puppen ausziehen.«
»Hm. Abgefahren.«
»Pass auf, das geht noch weiter: Ich muss mich hinter das Mädchen stellen und ihm von hinten die Bluse aufknöpfen, einen Knopf nach dem anderen.«
»Bei der Schaufensterpuppe meinst du jetzt, oder?«
»Ja, klar, bei der Schaufensterpuppe, du verstehst?«
»Klar.«
»Und dann muss ich ihr die Jeans von den Hüften ziehen. Die ganzen Kids aus der Schule und ihre Mums schauen von draußen zu. Und dann steht in dem kleinen, vollgestopften Schaufenster irgendwann diese nackte Plastikfrau vor mir, und ich muss sie wieder anziehen.« Bekümmert schüttelte Cecil den Kopf und schlug mit der Hand aufs Lenkrad.
»Und? Hast du’s geschafft?«, erkundigte sich Ralph.
»Ja, schon. Aber es war voll peinlich.«
»So peinlich kann es nicht gewesen
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