Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die äußerst seltsame Familie Battersby (German Edition)

Die äußerst seltsame Familie Battersby (German Edition)

Titel: Die äußerst seltsame Familie Battersby (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E. Archer
Vom Netzwerk:
trieb, sodass Ralph auf der Flutwelle tanzte wie ein Quietscheentchen in der Wanne.
    Weil es sehr bequem ist, sich in einem Spinnennetz zurückzulehnen (insbesondere ohne die dazugehörige Spinne), wollte Ralph eigentlich gar nicht mehr hinaus aus seinem Kokon. Außerdem geisterte ihm ständig der grausige Anblick des von der Walnuss zerschmetterten Waisenhauses durch den Kopf. Er gelangte zu der Überzeugung, dass die Welt grausam sei und nicht wert, sich mit ihr zu befassen.
    Nach einer Weile hatte Ralph aber doch genug davon, um ihm unbekannte Kinder zu trauern. Endlich fiel ihm wieder ein, dass er die tote Beatrice immer noch nicht gefunden (und gerettet) hatte. Mühsam bohrte er ein Loch in den Spinnennetzpanzer und arbeitete sich Faden für Faden voran (mit Wasser vollgesogene Spinnenseide verliert einen Großteil ihrer großen Bindekraft), bis er auf dem Kokon sitzen konnte wie auf einem Floß. Oben auf dem Kokon-Floß schaute er sich um.
    Viel zu sehen gab es nicht: bis zum Horizont (und darüber hinaus, auch wenn Ralph das nicht wissen konnte) nicht ein Fleckchen trockenes Land. Die unendliche See war kabbelig und grau von reichlich Felsen und Schwertern, die, einmal hineingeraten, von den Fluten mitgerissen wurden. Ralph vertilgte die Beine eines ertrunkenen Käfers, der sich im Netz verfangen hatte (ein durchweichtes Insekt zu essen, ist natürlich widerlich, aber es geht hier schließlich ums Überleben). So gestärkt widmete sich Ralph der Frage, was er als Nächstes tun sollte.
    Zuerst versuchte er, mit den Händen zu paddeln. Aber jedes Mal, wenn er sich über den Rand seines Spinnennetzbötchens beugte, begann es zu schlingern, und Ralph drohte im eisengrauen Meer zu versinken. Weil er sich nicht sicher war, ob unter der Wasseroberfläche furchterregende Wesen lauerten, kam er zu dem Schluss, dass zu verdursten als Todesart ihm zumindest mehr körperliche Distanz ermöglichte als gefressen zu werden.
    So verbrachte er einen ganzen Tag damit, sich in seinem Spinnwebenboot zurückzulehnen, in die Sonne zu blinzeln und sich zu fragen, wann jemand vorbeikäme, um ihn zu retten oder zumindest auf irgendeinen schicksalhaften Kurs zu führen. Er wäre froh gewesen, wenn ihn der Erzähler oben in den Laufplanken ein bisschen über seine Zukunft informiert hätte.
    Aber das wäre ein grober Verstoß gegen die Regeln des Geschichtenerzählens gewesen.
    Was schließlich geschah, war dies: In einem Boot näherte sich ein Skelett in einer Robe.
    Die schmutzig-grauen Knochen steckten tatsächlich in einem Seidengewand, das das Skelett mit seinen Mittelhandknochen elegant vor der Brust zusammenhielt. Das Boot war ein spilleriges Ding; eigentlich hätten die Wellen es hin und her werfen müssen. Doch es glitt wie von Zauberhand geradewegs durch sie hindurch. Ralph sah das Skelett und bekam es mit der Angst. Das überrascht, denn sein Vorrat an Angstgefühlen war durch die starke Nachfrage in letzter Zeit ziemlich geschrumpft.
    Das Skelett sprach ihn an. Skelettstimmen sind geschlechtsunspezifisch, und weil Ralph zudem die Beckenknochen nicht sehen konnte, hatte er keine Ahnung, ob es sich um ein Gerippe männlichen oder weiblichen Geschlechts handelte. Wobei die Geschlechtszugehörigkeit bei Skeletten eigentlich irrelevant ist, weil Paarungen bei ihnen ohnehin die Ausnahme sind.
    »Du bist Ralph?«, ließ sich das Gerippe vernehmen. Ralph nickte.
    »Ist dir klar, dass du das letzte lebende Wesen im ganzen Land bist?«
    Ralph schüttelte den Kopf.
    »Bist du aber. Bist du bereit, die von dir als letztem lebenden Wesen verlangten Pflichten zu erfüllen?«
    Ralph schüttelte den Kopf.
    Woraufhin das Skelett die Frage wiederholte und wiederholte und wiederholte, bis Ralph einlenkte und nickte.
    »Ausgezeichnet!« Das Skelett setzte sich auf den kippeligen Rand seines Bootes. Mit dem freien Arm ruderte es in der Luft, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. »Es erleichtert uns allen die Existenz, wenn jeder einem Fegefeuer zugewiesen wird. Leute, die noch nicht tot sind und hier herumgeistern, sorgen für zusätzlichen Verwaltungsaufwand – allein die ganzen Ausnahmeregelungen, die archiviert werden müssen …«
    »Ich bin noch nicht tot«, bemerkte Ralph.
    »Schon richtig«, entgegnete das Skelett und sprach jetzt betont langsam, damit sein offenbar unterbelichtetes Gegenüber auch mitkam. »Aber das heißt ja nicht, dass du nicht bald tot sein wirst .«
    »Heißt tot sein, dass ich dann wieder nach Hause darf?«,

Weitere Kostenlose Bücher