Die äußerst seltsame Familie Battersby (German Edition)
auf! Hör auf!«, schrie Gertie und sank zu Boden.
»Es ist vorbei.« Chessie schlang die Arme um ihre Schwester. »Keine Wünsche mehr.«
43. Kapitel
So nahm Chessie an diesem Tag erstmals am gemeinsamen Abendessen der Battersbys teil. Ralph, Cecil und Daphne fanden es sehr beeindruckend, mit einer allerdings etwas ungepflegten, zerknirschten Herzogin am Tisch zu sitzen. Immerhin hatte sie sich ihnen zuletzt als lodernde Halbgöttin präsentiert. Gertie und Gideon, die noch mit der jahrelang verdrängten, beschämenden Geschichte zu kämpfen hatten, fiel selbst die gewohnte höfliche Konversation schwer. Beatrice, die offenbar keinen Hunger hatte, saß nur da und starrte auf ihren Teller. Alles in allem war dieses Essen eine wenig erfreuliche Veranstaltung.
Trotz alledem fand Ralph, dass es in der Familie einen wenn auch aus traurigem Anlass und daher etwas niedergedrückten, neuen Zusammenhalt gab. Gertie und Gideon waren zwar zu nichts zu gebrauchen, ließen aber auch ihr ganzes aufgesetztes Gehabe. Und Chessie war nicht mehr übertrieben theatralisch. Sie benahm sich wie eine normale Frau mittleren Alters. Daphne und Cecil waren nicht mehr zwei unruhige, impulsive Geister, sondern nur noch müde. Ralph genoss das ruhige Abendessen oder hätte es genossen, wenn Beatrice nicht so seltsam gewesen wäre.
Es lag an dieser ungewohnten, neuen Ausstrahlung. Ralph fiel es schwer, sich nicht auf seine Cousine, sondern auf sein Roastbeef zu konzentrieren. Immer wieder landeten ganze Bissen in seinem Schoß anstatt in seinem Mund. Die Art, wie Beatrice auf dem Stuhl saß, war irgendwie komisch. Ralph konnte es nicht einordnen. Alles schien in Ordnung, aber trotzdem stimmte etwas nicht. Es war, als säße sie in Wahrheit in einem ganz anderen, sagen wir, Studio und sei dann mit Hilfe der Bluescreen-Technik in diese Szene hineingeschnitten worden. So sank sie beispielsweise ein bisschen zu tief ins Kissen.
Beatrice hatte Ralphs prüfenden Blick bemerkt und zwinkerte ihm zu.
Er lehnte sich über sein Kartoffelpüree mit Minzsoße und fragte leise: »Was ist los?«
»Ich bin tot.«
Fast hätte Ralph seine Erbsen ausgespuckt. »Wie bitte?«
»Ich bin tot. Ich bin ein Geist. Hier, schau!« Mit einem Finger berührte sie sacht seinen Handrücken: Der Finger drang ungehindert durch die Hand und landete auf der Tischdecke.
Dann hob sie den Finger mahnend an die Lippen, damit Ralph den Mund hielt. Mit klopfendem Herzen wandte er sich wieder seinem Roastbeef zu.
Nach dem Essen – die restlichen Familienmitglieder hatten sich gleich danach zu Bett begeben – bat ihn Beatrice, sie in ihren Flügel zu begleiten.
»Ich bin am Ende von Cecils Wunsch gestorben«, erklärte sie ihm, während sie durch den schlingernden Flur wankten. »Ich bin in der Unterwelt.«
»In der Unterwelt?«
»Ja. Da ist es gar nicht so schlimm, ehrlich.«
Ralph schüttelte den Kopf. »Wie fühlt es sich an, tot zu sein?«
»Weiß ich nicht. Da musst du mein richtiges Ich fragen. Du redest hier mit meinem Geist.«
»Oh!«
»Als ich meinen Wunsch ausgesprochen habe, wusste ich gar nicht, dass ich ein eigenes Gespenst haben würde. Das ist wirklich ein Vorteil.«
»Weiß Chessie Bescheid?«, fragte Ralph.
»Klar! Sie hat mir den Wunsch ja gewährt. Ich habe mir gewünscht, zu sterben, und jetzt bin ich tot. Während du Daphne geholfen hast, war ich die ganze Zeit in meinem Wunsch.«
»Du hast dir gewünscht zu sterben ? Wirklich?«
»Na ja, ich habe mir jedenfalls gewünscht, jemanden besuchen zu dürfen, der tot ist. Meine richtige Mutter, Annabelle. Tot zu sein war offenbar Voraussetzung dafür.« Für einen kurzen Moment begann Beatrice vor Ralphs Augen zu flackern wie bei einer einsetzenden Bildstörung. »Oh nein, ich weiß nicht, wie lange ich das noch durchhalte.«
»Was meinst du damit?«
»Ich vergehe immer mehr, verschwinde allmählich. Du hast mich doch beim Abendessen im Stuhl versinken sehen. Ich fürchte … Ich fürchte, dass mein richtiges Ich in Schwierigkeiten ist. Ich bin dabei, mein Ich zu verlieren.«
»Bist du sicher?«, fragte Ralph. In diesem Moment stolperte die Geister-Beatrice. Als Ralph sie festhalten wollte, glitten seine Arme durch sie hindurch, und sie löste sich in Luft auf.
44. Kapitel
Ralph kniete an der Stelle nieder, wo Beatrice verschwunden war, und starrte entgeistert auf den Steinboden. Sie saß in der Klemme, so viel war klar. Er musste Hilfe holen, entweder die Battersby-Eltern oder Cecil und
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