Die Affäre Mollath: Der Mann, der zu viel wusste (German Edition)
ist nach deutschem Recht nicht zur Strafanzeige verpflichtet.
Die Hypovereinsbank handelte also juristisch korrekt, als sie den Revisionsbericht nicht von sich aus der Staatsanwaltschaft übergab. Aber was ist mit der Moral? Warum schwieg die Bank? Wollte sie sich aufsehenerregende Ermittlungen wegen der dunklen Geldgeschäfte ersparen – oder aber namhafte und einflussreiche Kunden schützen, womöglich solche mit politischem Hintergrund? Vermutlich beides.
Gewiss, die Bank ist nicht schuld daran, dass Gustl Mollath wohl zu Unrecht seit sieben Jahren in der geschlossenen Psychiatrie sitzt. Sie hat aber auch nichts dazu beigetragen, die Vorgänge umfassend zu prüfen und aufzuklären. Sie hätte ihm helfen können und hat es nicht getan.
Es ist schwer vorstellbar, dass psychiatrische Sachverständige in ihren Gutachten und Richter in ihren Urteilen über Jahre hinweg (zwar nicht ausschließlich, aber ganz wesentlich) Mollaths Schwarzgeldgerede für wahnhaft erklärt hätten, hätten sie den Inhalt des Revisionsberichtes gekannt. Gustl Mollath wäre vielleicht nie in der Psychiatrie gelandet oder wäre längst wieder entlassen worden. Das muss nicht so sein, hätte aber so sein können. Und hätte die HVB die brisanten Prüfergebnisse der Staatsanwaltschaft übermittelt, hätten Ermittler die Schweizer Angelegenheiten rechtsstaatlich sauber prüfen und aufklären können. Hätte, wäre, wenn.
So aber darf sich niemand wundern über die vielen Verschwörungsvorwürfe, die die Affäre Mollath begleiten. Nicht nur Gustl Mollath erhebt sie, sondern auch viele ernstzunehmende Menschen, die der Fall seit Bekanntwerden des Revisionsberichtes Mitte November 2012 umtreibt. Ohne die Medien hätte der Skandal kein öffentliches Aufsehen erregt, geschweige denn wäre es zu Wiederaufnahmeanträgen gekommen. Was wiederum die Frage aufwirft: Ist Mollath ein Einzelfall?
Seriös wird niemand angeben können, wie viele psychisch möglicherweise kerngesunde Menschen als vermeintlich krank und gefährlich in deutschen Psychiatrien sitzen. Wir wollen uns an Vermutungen oder Spekulationen darüber nicht beteiligen. Tatsache ist, dass heutzutage in Deutschland doppelt so viele Menschen in Nervenkliniken und Entziehungsheimen eingesperrt sind wie vor zwanzig Jahren. Tatsache ist auch, dass in Bayern fast doppelt so viele Menschen zwangsweise in die Psychiatrie eingewiesen werden wie im Bundesdurchschnitt. Es muss hinterfragt werden, nach welchen Regeln und Methoden Menschen dort landen, speziell in Bayern. Und wie dann mit ihnen umgegangen wird.
Am 14. Dezember 2012 veröffentlichte der langjährige Gerichtsreporter der Süddeutschen Zeitung, Hans Holzhaider, eine Reportage mit der Überschrift »Der nackte Wahnsinn«. Es ging um den Landwirt Franz Xaver Einhell. Zum Zeitpunkt des Artikels war er 65 Jahre alt und wurde seit 18 Jahren in der geschlossenen Psychiatrie verwahrt. Das ist länger, als jeder zu lebenslanger Haft verurteilte Mörder ins Gefängnis muss. Einhell hat niemanden umgebracht oder vergewaltigt. Er wuchs auf einem niederbayerischen Einödhof auf, die Familie war streng katholisch. Franz Xaver Einhell tat sich schwer mit Frauen. Seine Ehe verlief unglücklich und aus seiner Sicht sexuell unerfüllt.
Von 1975 an stand er mehrfach wegen exhibitionistischer Handlungen vor Gericht. Nachdem er 1994 einmal mehr vor Mädchen seine Hose öffnete, verurteilte das Gericht ihn zu achtzehn Monaten Freiheitsstrafe, für einen sexuellen Missbrauch, der inakzeptabel ist und zu Recht bestraft wird. Das Gericht wies Einhell in die geschlossene Psychiatrie ein, wo er fortan therapiert wurde. Dort lebt er, der zu achtzehn Monaten Freiheitsentzug Verurteilte, nunmehr seit achtzehn Jahren. Als Holzhaider den Fall beschrieb, setzten sich selbst psychiatrische Gutachter dafür ein, Einhell endlich wieder in ein normales Leben zurückzuführen.
Wie schnell selbst gesunde Menschen dauerhaft in der Psychiatrie landen können, bewies der amerikanische Psychologe David Rosenhan bereits in den 1960er und 1970er Jahren. Sein aufschlussreiches Experiment beschrieb Rosenhan im Fachblatt Science unter dem Titel »Vom Normalsein in verrückter Umgebung«. Rosenhan wusch sich einige Tage lang nicht, zog sich dreckige Kleidung an und marschierte in eine psychiatrische Klinik in Pennsylvania. Dort faselte er den Medizinern etwas von angeblichen Stimmen in seinem Kopf vor. Alles nur Show, fernab nervenärztlicher Lehrbücher und jeglicher Realität.
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