Die Affen von Cannstatt (German Edition)
Reue vorausgesetzt …« Ich muss immer noch darüber lachen. Wie sieht ein Bonobo aus, der einsichtig und reumütig ist? »… gewährt dem Mann die am meisten respektierte Frau der Gruppe oftmals einen Koitus.«
Ja, so hat sich das der Herr Kano vorgestellt in seinem Schrecken angesichts der Frauenherrschaft. Er rettet sich in das Recht des Mannes auf Sex als Belohnung für Wohlverhalten. Auch Professor Schmaleisen hat nichts anderes von mir erwartet als eine Beschreibung des männlichen Glücks, im Schutz eines Matriarchats zu leben, in dem ständig Sex betrieben wird. Die blinden Flecken beim männlichen Beobachter erster Ordnung sind auch der Emma nicht aufgefallen. »Das Hippie-Ideal ›Make love, not war‹ wird im Garten Eden am Kongo-Strom in die Tat umgesetzt, allerdings von den Bonobos, wo – anders als bei den Hippies – die Frauen bestimmen. Und sie ähneln uns Menschenfrauen, weil die Genitalien vorn liegen, nicht hinten wie noch bei den Schimpansen, weshalb unter Bonobos der Sex von Angesicht zu Angesicht üblich ist, was man bis dahin für eine Errungenschaft des Homo sapiens gehalten hat. Im Garten Eden im Regenwald des Kongobeckens machen Frauen grundsätzlich gemeinsame Sache. Frauenfreundschaften und Frauenseilschaften sind die Basis des matriarchalen und gewaltfreien Gesellschaftssystems. Trotz der körperlichen Überlegenheit haben die Männer gegen die geballte Frauensolidarität und Frauenpower keine Chance.«
Ich erinnere mich, dass ich übers Paradies nachdachte. Das postmortale ist jedenfalls für Männer. Den Moslem erwarten dort siebzig Huren, es herrschen der Patriarch Gott und seine Adlaten. Nur im prähumanen Paradies hatte Eva das Sagen, sie war die Aktive, die dem tumben Adam die Sexualität entdeckte. Gewiss hat die kleine Emma nicht wie ich wochenlang auf einem Stuhl vor den Bonobogehegen gesessen. Sonst wüsste sie, was schon in der Bibel steht: Im Garten Eden herrschte – bis zu dem Moment, wo Eva als Verräterin bestraft wurde – die totale Schamlosigkeit. Und bei den Affen herrscht sie noch. Sie fummeln sich an den Geschlechtsorganen herum. Sie fassen sich gegenseitig an den Hintern und schnüffeln danach an ihren Händen. Sie beschmieren Wände, Glasscheiben und sich selbst mit ihrer Scheiße. Nach dem Essen stecken sie sich die Finger in den Rachen und kotzen den Mageninhalt auf die Hand, fressen ihn wieder. Und dann diese grausigen Auswüchse am Hinterteil, wenn die Frau empfängnisbereit ist, plumpe rosige Geschwülste der Genitalien, in denen man den Schlitz der Scheide und den Zipfel der Klitoris grotesk vergrößert sieht. Eine weibliche Dauererektion, ein Fleischkissen, das auch beim Sitzen stört.
Nur die Kinder kommentieren das lautstark. »Der hat aber einen hässlichen Arsch.« Die Mütter lachen und schauen sich verlegen nach mir um. Unser Lachen vor dem Affengehege ist der Ausdruck unseres Entsetzens vor dem, was Adam und Eva verloren haben, nachdem sie für sexuelle Lust bestraft wurden. Was den Menschen vom Affen unterscheidet, ist nicht der aufrechte Gang, die Sprache oder das Lachen, es ist der Ekel, die Scham.
In der Wilhelma sind die Bonobos nicht sonderlich beliebt. Die Besucher wandern fast blicklos an ihren über Eck angelegten Schaugehegen vorbei zu den Orang-Utans. Am längsten bleiben sie bei den Gorillas stehen. Der mächtige Silberrücken hängt sich gern dicht an der Scheibe in eine der Schlaufen aus Feuerwehrschläuchen, gähnt und zeigt dabei den Besuchern seine langen Eckzähne.
Die Sozialstruktur der Bonobos bleibt dagegen unsichtbar. Etwa ein Viertel des Tages sind sie mit Stoffwechselverhalten beschäftigt, also mit Nahrungsaufnahme und Ausscheidungen. Während Professor Schmaleisen von mir das Protokoll eines matriarchalischen Liebes- und Zärtlichkeitskonzepts erwartet, stelle ich fest, dass Sex etwa ein Prozent ihrer täglichen Handlungen ausmacht, rund neun Minuten, allerdings mit bis zu fünfzig Akten. Ein Viertel des Tages verbringen sie mit gegenseitiger Fellpflege. Schmaleisen nennt es Schmusen oder Fußmassage auf Äffisch. Seine Frau quieke auch am schönsten, wenn er ihr die Füße massiere, teilt er uns mit. »Massieren Sie Ihrer Freundin die Füße, meine Herren. Und alles flutscht.«
Im Zoo verhalten sich Tiere allerdings anders als in Freiheit. Sie leiden unter Platzmangel. Feinde können einander nicht aus dem Weg gehen oder abwandern. Häufig entsteht ohne für mich ersichtlichen Grund eine allgemeine Aufregung. Sie
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