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Die Affen von Cannstatt (German Edition)

Die Affen von Cannstatt (German Edition)

Titel: Die Affen von Cannstatt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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Wächterinnen nichts? Sie rufen. Aber das verhallt überm Kampfgetümmel. Missmutig setzen sie sich in Marsch, kommen mit steifen Beinen heran. Keine fasst zu. Als ob sie sich ekelten vor denen, vor uns. Sie müssen sich erst Handschuhe überziehen. Sie drohen mit Maßnahmen. Bis eine der beiden ablässt. Der anderen läuft Blut aus der Nase. Sie heult und jault, als ob sie unschuldiges Opfer wäre. Nur weil sie blutet. Die andere beschimpft sie als Bazille. An der Reaktion der Umstehenden erkenne ich, dass das etwas ist, was alle verachten. Was sie getan hat, will die andere nicht sagen, die Bazille wisse es schon. Der tropft das Blut aus dem Gesicht. Unwillkürlich fasse ich in meine Jackentasche nach einem Taschentuch. Aber ich habe keines. Schlichten, helfen, trösten. Das falsche Konzept. Es gilt hier nicht. Der Schnee ist zerwühlt, zertreten, darauf frische Blutspuren, teils verwischt. Ich beruhige mich bis zum Ende des Hofgangs nicht. Meine Panik macht mir Angst. Ich darf doch keine Schwäche zeigen, sonst bin ich die Nächste.
Fortsetzung Verteidigung Camilla Feh
    In der Wilhelma leben dreizehn Bonobos. Alma, die älteste, hat mit ihren vierzig Jahren noch mal einen Sohn bekommen, den Deko. Auch Zete hat ein Baby, eine Tochter, die man Mokili getauft hat. Bonobos entwöhnen nach fünf Jahren und erst ein Jahr später werden die Mütter wieder schwanger. Zetes ältere Tochter Mara ist acht Jahre alt.
    Der 18. August 2008 ist mein Schicksalstag. Um 11:13 Uhr beobachte ich, wie Mara sich Zete nähert und darum bittet, Mokili umhertragen zu dürfen. Zete überlässt ihr das Baby und klettert auf den Sitz am Stocherbecher. Sie genießt es, ungestört mit dem Stock Joghurt zu stochern. Mara begibt sich mit Mokili zum Wasserbecken. Sie guckt sich kurz nach Zete um und tunkt dann das Baby mit dem Kopf unter Wasser.
    Ich schaue wie gelähmt zu. In meinem Kopf rasen die Gedanken. Ich muss Revierpflegerin Heidrun alarmieren. Oder ist Mokili tot, bevor Heidrun mit ihren Schlüsseln bis in Schaugehege vorgedrungen ist? Außerdem gehen Pfleger gar nicht zu den Affen hinein. Ich müsste aufspringen und gegen die Scheibe hämmern. Aber das wird nichts nützen. Die Bonobos kümmern sich nicht um unser Gekasper an den Scheiben.
    Ich tue nichts. Ich sitze versteinert und warte darauf, dass Mara den leblosen Babykörper aus dem Wasser hebt und auf den Boden legt, wie knochenlos mit baumelndem Kopf. Ich atme nicht, ich beobachte nicht, ich warte auf den Anblick des Totseins.
    Doch da klettert Zete vom Sitz am Stocherbecher herunter, geht zum Wasserbecken und nimmt Mara das Baby weg. Es lebt.
Der Bonobotraum hat mit ihrer Entdeckung begonnen. Dass sie nicht einfach nur kleinere schwarzgesichtige Schimpansen sind, merkt man erst in den dreißiger Jahren. In den siebziger Jahren folgt ihnen der japanische Primatologe Kano durch den kongolesischen Urwald und beschreibt, was seitdem alle parat haben: Bonobos machen Sex, statt sich zu prügeln. Sex dient dem Stressabbau. Entdecken sie einen Baum voller Früchte, so schlagen sie sich nicht wie die Schimpansen darum, wer zuerst hochsteigen darf, sondern sie kopulieren. Hernach steigen sie gemeinsam hoch. Die Wilhelma-Bonobos tun es immer, wenn etwas passiert, was Streit auslösen könnte, immer vor der Eroberung des Futters. Alle treiben es mit allen, die Alten mit den Kindern, die Männer untereinander und – nie bei anderen Tieren beobachtet – die Frauen mit den Frauen. Die Wissenschaft nennt es: genogenital rubbing, kurz GG-Rubbing. Das heißt, die Bonobofrauen reiben die Genitalien aneinander und schauen sich dabei an. Der Akt dauert zwanzig Sekunden.
    Ich habe meine Protokolle aufgehoben. Der Ordner befindet sich jetzt bei der Polizei oder Staatsanwaltschaft. Wenn sie ihn aufschlagen, sehen sie obenauf die Kopie eines Artikels aus der Emma aus jener Zeit. Sie sehen, dass ich Sätze markiert habe wie: »Die Frauen geben sich lustvoll quiekend einander hin. Wenn sie es mit Männern treiben, quieken sie auch.«
    Warum müssen Frauen quieken beim Sex? Ist das irgendwie feministisch korrekt?
    Auch an anderen Behauptungen habe ich mich gestoßen. Sie lauten aus der Erinnerung rekonstruiert: »Wehe, ein Mann wagt es, bei einer unerfahrenen Frau dominant zu sein. Sofort sind ältere Frauen zur Stelle, die ihn daran hindern. Aber nicht durch Gewalt, sondern weil sie aus Zuneigung respektiert werden, erklärt Professor Kano. Als Verzeihung für männliches Dominanzgehabe, Einsicht und

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