Die Affen von Cannstatt (German Edition)
turnen durchs Gehege und schreien. Oft beruhigen sie sich durch GG- Rubbing. Oft aber jagen Mara und Oicha dann plötzlich Njema durchs Gehege und beißen ihn in Ohren, Genitalien und Füße. Die drei Männer, Mafuka, Heri und Njema, verbringen die Nacht von den Frauen getrennt in einem eigenen Käfig. Sonst wären sie Dauerpatienten des Tierarztes, erklärt mir Heidrun.
Njema ist der Letzte in der Rangordnung. Seine Mutter Kuruna ist eine Handaufzucht aus Polen. Alma sorgt dafür, dass Zete und Mara sie in Ruhe lassen. Hätte sie selbst entscheiden können, wäre Kuruna wohl in eine andere Gruppe abgewandert.
In der Wilhelma sind die dreizehn Bonobos in zwei Gruppen aufgeteilt. Alma darf sich jeden Morgen entscheiden, bei welcher Gruppe sie den Tag verbringt. Kuruna fühlt sich unwohl, wenn Alma sich für die anderen entscheidet. Ihr Sohn Njema ist das Opfer. Keiner mag ihn, und er selbst mag sich auch nicht. Er findet niemanden, der ihm das Fell pflegt, er tut es selbst und reißt sich dabei die Haare aus. Kuruna stirbt übrigens ein Jahr später an einer Infektion.
Im Zoo lernen Bonobos auch Werkzeuge herstellen und benutzen, die sie in ihrer Heimat nicht nötig haben. Im Zoo gucken sie gern Videos. Die Wilhelminischen Bonobos lieben Tierfilme und Jurassic Park. Wie die Kinder hocken sie da. Und wenn der böse Tyrannosaurus Rex aufstampft, ziehen sie sich erregt die Holzwolle über den Kopf, spicken aber vorsichtig darunter hervor. Den Elektriker, der eines Tages den defekten Fernseher holen musste, hassen sie, obgleich er ihn wiedergebracht hat. Wenn er durchs Affenhaus geht, schreien sie. Womöglich hätten sie ihn gelyncht, wenn er jemals ihre Gehege betreten hätte.
In meinem Ordner über die Bonobos befinden sich auch ein Artikel aus Current Biology, der damals gerade erschienen ist, und einige Zeitungsartikel, die sich darauf beziehen und erklären, nun sei es vorbei mit dem Hippie-Image der Bonobos. Denn sie machen »Jagd auf Verwandte«. Es klingt, als ob sie ihre eigenen Schwestern töteten und äßen. Tatsächlich aber berichtet Current Biology von der Jagd auf Artverwandte, nämlich Meerkatzen. Artverwandtschaft ist auch für menschliche Primaten nie ein Grund gewesen, das Schlachten zu unterlassen. Im Kongo werden heute noch Bonobos gegessen.
Wissenschaftler haben erst 2008 im Salonga-Nationalpark südlich des Kongo-Flusses beobachtet, wie Bonobos in Gruppen von sechs bis acht Tieren kleine Primaten erbeuten. Sobald die Bonobos eine Affenhorde in den Baumkronen entdecken, werden sie still und schleichen sich an. Einige stellen sich unten an den Baumstämmen auf. Wer das Kommando gibt, haben die Wissenschaftler nicht erkennen können, aber plötzlich stürmen alle gleichzeitig hinauf. Einer greift sich einen jungen Affen. Sie töten die Beute nicht mit einem gezielten Biss, sondern fressen sie bei lebendigem Leib. Meist beißen sie zunächst in den Bauch und ziehen die Eingeweide heraus.
Damit ist die in der Biologie verbreitete Annahme widerlegt, dass männliche Dominanz Voraussetzung für aggressives Jagdverhalten ist. Verwundert nimmt die Presse zur Kenntnis, dass bei den Bonobos die Männer nicht allein jagen, sondern Frauen dabei sind. Das ist, wenn Löwinnen jagen, allerdings immer so.
»Zeig Schmaleisen den Artikel«, rät mir Till aufgeregt. »Das ist der Beweis, dass Bonobos töten können.«
Haftbuch, 18. Februar
Ich frage mich, wie es dazu gekommen ist, dass bei den Bonobos die Frauen die Regeln bestimmen. Wie entsteht so etwas? Ich habe von einer Paviangruppe in Afrika gelesen, der die drei mächtigsten Männer an einer Vergiftung weggestorben sind. Die Frauen sind zusammengerückt und haben einen freundlichen Umgang eingeführt mit viel Fellpflege und Schmuseeinheiten. Dabei herrscht in Pavianhorden eigentlich der pure Terror. Die Männer streiten um ihre Vorherrschaft, entführen einander die Frauen, beißen, was sich widersetzt. Kinderlose Frauen mächtiger Männer nehmen anderen die Neugeborenen weg, was die Babys meist nicht überleben. In die von Frauen geführte Pavianhorde sind natürlich wieder Männer eingewandert. Dennoch haben sich in ihr der Schmusestil und der friedliche Umgang erhalten. Vielleicht hat irgendwann eine Bonobohorde im kongolesischen Urwald dieselbe Erfahrung gemacht. Und weil bei ihnen mehr Kinder überlebt haben als in den gewalttätigen patriarchalisch organisierten Gruppen, hat sich das Matriarchat durchgesetzt.
Fortsetzung Verteidigung Camilla
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