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Die Affen von Cannstatt (German Edition)

Die Affen von Cannstatt (German Edition)

Titel: Die Affen von Cannstatt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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Mutter begangen hat? Werde ich zu gegebener Zeit selbst den Wunsch verspüren, die eigenen Kinder zu töten? Werde ich die ganze Schwangerschaft hindurch diesen Gedanken abwehren müssen? Werde ich vorzeitig aufgeben und das Kind abtreiben lassen? Oder werden Totgeburten aus mir herauskommen, weil ich unter dem unbewussten Zwang stehe, keines meiner Kinder zu behalten?
    Ich muss die Diskussion mit Schmaleisen beenden, weil ich ihr nicht folgen kann. Ich sage: »Dann lasse ich die Szene eben weg.«
    Wenn das mein Verständnis von Wissenschaft ist, antwortet er, Beobachtungen wegzulassen, weil sie nicht passen, dann muss er meine Arbeit als Ganzes und meine Eignung für das Studium in Zweifel ziehen.
    »Was will der denn von mir?«, frage ich am Abend aufgebracht Till. »Was soll ich denn tun? Die Szene glaubt er mir nicht, aber wenn ich sie weglasse, mache ich mich erst recht unglaubwürdig.«
    Till sagt, ich hätte nicht gleich nachgeben dürfen. Schmaleisen wertet dies als Gleichgültigkeit. Ich hätte streiten müssen, kämpfen, argumentieren.
    Ja, wie denn?
    »Schmaleisen ist ein Arschloch«, behauptet Till. »Das ist bekannt. Er versucht es bei allen Frauen.«
    »Was genau versucht er bei allen Frauen?«, frage ich.
    »Sie zu verunsichern.«
    »Warum macht er das?«
    »Um sich selber besser zu fühlen, Camilla. Du weißt doch, wie die Männer sind. Mit dir persönlich hat das überhaupt nichts zu tun.«
    Ich habe es satt, dass einer Dinge sagt, die nicht mich meinen. Von der Wissenschaft habe ich erwartet, dass es um eine Sache geht und um Wahrhaftigkeit. Wie kann Schmaleisen mich nicht meinen, wenn er mich fertigmacht? Und was hat das mit Wissenschaft zu tun? Mit unserer Sache?
    »Nirgendwo geht es um die Sache«, erklärt mir Till, »immer geht es auch um Macht und Machterhalt. Das muss ich dir als Soziologin doch nicht erklären. Schmaleisen ist ein alter impotenter Silberrücken, der davon träumt, dass die Studentinnen ihm Sex anbieten. Du hast ihm seine Bonobofantasien zerstört, Camilla. Dafür rächt er sich jetzt.«
    Wir lachen sogar, ich verzweifelt.
    Till kämpft gern. Er nimmt jede Herausforderung an. Es gefällt ihm, sich zu streiten. Er verbindet es mit der Hoffnung, eines Tages der Stärkere zu sein. Er will alle Silberrücken dieser Welt stürzen.
    Ich folge Tills Rat und bitte Schmaleisen um ein zweites Gespräch.
    »Wenn Sie«, sagt Schmaleisen, nachdem ich ihm referiert habe, dass Bonobos jagen, »den Aufsatz genau lesen, dann sollten Sie allerdings erkennen, dass Affen nicht bewusst töten. Wie alle anderen Tiere befördern sie ein anderes Lebewesen lediglich in einen essbaren Zustand. Auch Löwen töten nicht. Sie sorgen nur dafür, dass ihre Beute aufhört sich zu bewegen. Ich kann nach wie vor keinen Hinweis darauf entdecken, dass die Bonobos eine Vorstellung vom Tod als Ende der individuellen Existenz hätten. Er ist lediglich das Nebenprodukt von Aktionen, die auf Nahrungsbeschaffung oder Vertreibung eines Feindes zielen. Ich kann nicht erkennen, dass der Tod des Individuums Ziel ihrer Handlungen ist. Zum Mord ist nur der Mensch fähig.«
    »Aber Affen wissen, dass sie selbst und ihre Kinder sterben, wenn ihr Kopf unter Wasser gerät«, ereifere ich mich. »Ich habe einen Film gesehen, der zeigt, wie Leute versuchen, ein Orang-Utan-Weibchen von einem Baum zu retten, der infolge von Überschwemmungen in einem reißenden Gewässer stand. Man hat der Äffin ein Seil zugeworfen, an dem sie sich festhalten konnte, und sie aufs Trockene gezogen. Dabei hat sie darauf geachtet, dass der Kopf ihres Babys nicht unter Wasser gerät.«
    Ich bin mir zwar nicht sicher, ob das bisschen, was ich gesehen habe, dafür ausreicht, die Aussage zu wiederholen, die der Kommentator des Films gemacht hat, aber nicht das stört Schmaleisen. Er merkt es gar nicht. »Das mag ja so sein«, antwortet er. »Und hätte Mara Zetes Baby totgebissen … in Gottes Namen. Darüber ließe sich trefflich streiten. Tödliche Verletzungen sind bei Rangkämpfen niemals auszuschließen. Aber was Sie beschreiben, den Mord mit einer Waffe, wäre eine wissenschaftliche Sensation, Frau Feh.« Er lächelt dabei, als hätte er mich beim Versuch ertappt, in die Kaffeekasse zu langen.
    Es ist nicht mein Gefecht, es ist Tills. Ich will keinen Aufstand, sondern den Seminarschein. Ich schäme mich meiner taktischen Dummheit. Schmaleisen hätte nichts zu bemängeln gehabt, wenn ich neutral geschrieben hätte: »Mara trägt Zetes Baby Mokili

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