Die Affen von Cannstatt (German Edition)
Schließerin an die Gurgel, um es aus ihr herauszuschütteln. Warum? Warum nehmt ihr mir alles weg?
Warum?
Die Schluse kann oder will dazu nichts sagen. Die Abteilungsbeamtin kommt am Nachmittag und sagt, ich hätte verbotene Dateien auf dem Laptop gehabt.
Was für Dateien?
Sie nuschelt: Aufzeichnungen, die Kenntnisse über Sicherungsvorkehrungen einer Justizvollzugsanstalt vermitteln, dürfen vernichtet oder unbrauchbar gemacht werden.
Was meinen Sie damit genau? Und kontrollieren Sie etwa meinen Laptop, wenn ich nicht auf der Zelle bin?
Eine weltfremde Frage. In der U-Haft gibt es kein Privatleben, kein Recht auf Geheimnis. Einmal, ganz am Anfang, hat die Abteilungsbeamtin mich ins Büro gerufen und mir einen Brief meiner Schulfreundin Filiz gezeigt. Ich soll ihr doch bitte sagen, dass sie nicht schreibt, sie hoffe, dass ihr Brief mich erreicht. Sie halten keine Briefe zurück.
Aber sie lesen sie. Auch jeder Brief von mir nach draußen wird gelesen. Schreibe ich unleserlich, wird er nicht weiterbefördert. Vielleicht hat man noch nie einen Brief von mir weiterbefördert. Denn ich schreibe schlecht, ich kriege nach dreißig Sekunden einen Graphospasmus. Daumen und Zeigefinger verkrampfen sich, wenn ich mit einem Stift schreiben muss. Man nennt es Dystonie. Es ist eine kleine falsche Nervenverschaltung im Gehirn. Unheilbar. Ein Neurologe hat mir mal Botox in den Arm gespritzt, aber das macht die Hand insgesamt schwach. Ich brauche eine Tastatur zum Schreiben.
Ich bin fast zweiundzwanzig Stunden auf der Zelle eingeschlossen: Sechs Uhr Lebendkontrolle, danach Radio anstellen und Lampe anschauen. Duschen, danach Fernseher anstellen und zwischendurch die Decke ansehen. Hofgang, danach Radio hören und den Boden anschauen. Mittagessen, danach fernsehen und die Wände angucken. Spätnachmittag Versorgungsaufschluss, danach Radio hören oder fernsehen und die Gitterstäbe zählen. Einundzwanzig Uhr Licht aus, irgendwie schlafen oder fernsehen. Einmal die Woche kommt der Bücherwagen. Hauptsächlich Spiegel-Bestseller, Fantasy, Liebesschnulzen und Krimis. Ich frage nach Literatur und Lyrik. Nächste Woche will sie was mitbringen. Aber immer nur ein Buch pro Woche.
Ich will meinen Anwalt anrufen!, schreie ich. Sofort!
Man wird dem Sozialdienst Bescheid sagen. Ich darf nicht selbst telefonieren. Die Regeln sind streng in der JVA Schwäbisch Gmünd. Es gibt keine Lässigkeiten. Gefangene, die sich in Untersuchungshaft befinden, können nur in dringenden Fällen mit richterlicher Genehmigung auf eigene Kosten telefonieren. Die Gespräche werden vom Sozialdienst vermittelt. Weitere Telefonate sind nur aus besonders wichtigem Anlass (z. B. lebensgefährliche Erkrankung eines Angehörigen oder Ablauf einer Frist in einer Rechtssache) möglich. Anträge sind an den Sozialdienst zu richten, steht in der Anstaltsordnung, die ich schriftlich bekommen habe. Die Anstaltsordnung steht über allem. Alles wird an ihr gemessen. Nichts darf sie stören.
Haftbuch, 12. März
Mein Leben als Gittermaus hat am Freitag, den 14. Dezember begonnen. Völlig unerwartet. Halb sechs klingelt es an meiner Haustür und die Gegensprechanlage bellt: »Polizei, öffnen Sie die Tür!« Sieben Leute, zwei davon in Uniform, kommen die steile Treppe herauf. Eine Frau ist von der Stadt und Zeugin, einer ist der Leitende Beamte. Er zeigt mir einen richterlichen Durchsuchungsbeschluss. Die Begründung entgeht mir, denn meine Gedanken hasten trudelnd voraus. Reicht es mir noch ins Geschäft oder muss ich anrufen? Aber um die Zeit ist dort noch keiner. Und was sage ich? Ich komme später, ich habe die Polizei im Haus?
Die Beamten wühlen in meinen Schränken und Fächern. Ich sitze am Esstisch. Der Leitende Beamte trägt in eine Liste ein, was sie ihm bringen – Laptop, Speichermedien, CDs, Aktenordner, Schuhe, Kleider –, und klebt Nummern darauf. Sind die jetzt beschlagnahmt?, frage ich. Warum denn? Und dauert das hier noch länger?
Ich darf mir einen Tee machen und brühe mir einen kräftigen Java-Tee auf. Ich kriege trotzdem meine Gedanken nicht gesammelt. Sollte ich Onkel Gerald anrufen? Er ist Anwalt. Ich müsste ihn wecken. Und nur für ein Missverständnis? Das verdanke ich doch sicher dieser Hyäne, dieser Lisa Nerz, von der ich bis vor ein paar Stunden noch dachte, der kann ich vertrauen. Der ich vertraut habe. Dabei hat sie nur ihr Spiel mit mir gespielt. Sie muss von mir direkt zur Polizei gegangen sein.
Es dauert, ich sitze da in Nachthemd
Weitere Kostenlose Bücher