Die Affen von Cannstatt (German Edition)
herum und spielt mit ihm am Wasserbecken. Mokilis Kopf gerät unter Wasser, Zete holt sie sich zurück.«
Auch Heidrun ist skeptisch gewesen, als ich ihr erzählte, was ich beobachtet habe. Mara ist manchmal etwas grob, meinte sie. Dass sie Mokili hätte ertränken wollen, das kann sie sich nicht vorstellen. Höchstens aus Versehen. Es wird Zeit, dass sie zu einer anderen Gruppe in einem anderen Zoo kommt.
Ja, es ist mir durchaus bewusst gewesen, dass meine Beobachtung eine wissenschaftliche Sensation darstellt. Ich habe mir vorgestellt, wie Schmaleisen mich lobt und mir eine Veröffentlichung anbietet. Es war töricht. Nicht Schmaleisen muss ich einen Vorwurf machen, sondern mir selbst. Den Fehler habe ich begangen. Ich bin in die Mutterfalle getappt. Ich stehe mir selbst im Weg, oder vielmehr, meine Mutter schiebt mich herum, flüstert mir von hinten die Forderung ins Ohr: Rechtfertige mich. Wozu habe ich dich am Leben gelassen? Schau doch hin, sogar die Affen töten ihre Kleinen. Es ist ein ganz natürliches Verhalten.
Und Till unterstützt sie, ohne es zu wissen. Dabei schiebt er mich an seine eigene Front. Für mich eine Sackgasse. Das ist nicht mein Weg. Doch welcher meiner wäre, weiß ich nicht. Er muss sehr früh in meiner Kindheit in eine andere Richtung abgezweigt sein. Womöglich gehe ich jetzt bis zum Lebensende auf dem falschen.
Till ist wütend. »Merkst du denn nicht«, sagt er, »dass du den typischen Fehler von Frauen machst, den Fehler immer zuerst bei dir selbst zu suchen? So kommt ihr nicht an die Macht.«
Ich will sowieso nicht an die Macht. Die Gene meiner Mutter machen mich unlustig für den feministisch-antikapitalistischen Kampf. Till hat Spaß daran. Er streitet sich bei jeder Gelegenheit mit Schmaleisen herum. Schmaleisen behauptet, Gender-Studien sind Blödsinn, die könnten nichts leisten, was nicht auch die Soziologie kann. Und vor allem vorurteilsfrei. Eine Studie hat erst kürzlich wieder gezeigt, dass Frauen Männer unattraktiv finden, die kochen und putzen. Attraktiv für das Weibchen – O-Ton Schmaleisen – ist immer noch der starke Mann mit Macht und Geld. Dafür sorgen schon die Hormone. Keine von uns Studentinnen widerspricht. Für uns steht Till auf und hält ihm vor, dass er die Soziologie zum Handlanger patriarchalisch-kapitalistischer Machterhaltung degradiert. Er gibt keine Ruhe, bis Schmaleisen ihn vom Sicherheitsdienst aus der Aula führen lässt.
Hinterher klagt er: »Ich verstehe euch nicht, Camilla. Äußert sich einer abfällig über Frauen, fühlt sich keine Anwesende angesprochen. Macht er eine Einzelne in seinem Büro klein, dann sucht sie die Schuld brav bei sich.«
Und ich verteidige mich: »Wir Frauen denken eben ökonomisch, Till. Weder Schmaleisens Meinung noch dein Einwand sind klausurrelevant.«
Till schnaubt. Für ihn ist der Kampf eine soziale Übung. Mir graust es davor. Ich durchschaue auch die Regeln nicht.
Eine Woche vor Weihnachten schreibe ich Schmaleisen eine Mail, dass er meine Studie nicht mehr bewerten muss, und packe in unserer Tübinger WG meine Tasche, packe mehr hinein, als ich für den Weihnachtsbesuch bei meinen Pflegeeltern bräuchte.
»Was heißt das jetzt?«, fragt Till. »Kommst du nicht wieder?«
»Ich weiß es noch nicht.«
Ich fahre nach Hause zu meinen Pflegeeltern. Am zweiten Weihnachtsfeiertag kommt Till zum Essen. Meine Pflegemutter hat extra für ihn auch etwas Veganes gekocht. Nach dem Essen machen wir einen Spaziergang am Neckar entlang, vorbei am Stuttgart-Cannstatter Ruderclub bis zum Max-Eyth-See. Till schmiedet Pläne. Auch er hat die Schnauze voll von Tübingen. Er will nach Barcelona gehen, um dort einige Hausbesetzer zu unterstützen. Ich will nicht mit. Ob mir unser politischer Kampf gar nichts mehr bedeutet, fragt er. Er habe gedacht, ich hätte verstanden, dass der Einzelne schwach und ohnmächtig ist und wir uns solidarisieren müssen. Wir streiten uns. Ich teile ihm mit, dass ich mein Studium abbreche.
Was ich denn stattdessen machen wolle? Etwa meinen Eltern im Laden helfen?
Ich weiß es nicht.
Er wirft mir vor, ich sei in meinen bürgerlichen Ängsten verhaftet. Ich wolle seinen Weg nicht mitgehen. Was ich denn eigentlich jetzt von ihm erwarte.
»Nichts«, sage ich.
»Heißt das, du trennst dich von mir?«, fragt er.
»Das heißt es dann wohl.«
Nie hat sich uns die Frage gestellt, warum ich mit ihm mitgehen muss, er aber nicht mit mir. Ich bin bürgerlicher Rückschritt. Schweigend geht Till
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