Die Ahnen von Avalon
aber zu, dass ihre Tochter sich bei ihr unterhakte. Sie waren kaum aus der offenen Tür getreten, als Chedan schon den ersten Trinkspruch ausbrachte.
Der ummauerte Garten, den Reio-ta für seine Gemahlin angelegt hatte, war einmalig auf Ahtarrath und suchte seit dem Untergang des Alten Landes vermutlich weltweit seinesgleichen. Ein Ort der Beschaulichkeit sollte er sein, eine Nachbildung des Paradieses. Sogar jetzt war die Luft erfüllt vom Gezwitscher der Singvögel und vom Duft süßer und würziger Kräuter.
Im Schatten der Weiden wuchs grüne Minze, und Seerosen und Lotos öffneten ihre prächtigen Blüten. In den Hochbeeten ließen sich Salbei, Wermutkraut und andere Duftpflanzen von der Sonne bescheinen. In den Ritzen zwischen den Pflastersteinen hatte sich Kriechthymian mit seinen winzigen Blättern und den hellblauen Blüten angesiedelt.
Der Weg selbst, eine Spirale, führte in so sachten Windungen zwischen den Pflanzungen dahin, als wäre er natürlich entstanden, und endete im Zentrum vor einer Grotte, vor deren Eingang ein Vorhang von Jasminzweigen mit wachsweißen Blüten ein ganz besonderes Rauchopfer in die warme Luft verströmte. Dahinter verbarg sich, kaum zu erkennen, ein Bildnis der Göttin.
Tiriki drehte sich um und sah, dass Deoris' große Augen voller Tränen standen.
»Was hast du? Ich muss gestehen, du weckst Hoffnungen in mir. Wenn du endlich Angst bekämst vor dem, was bevorsteht, könnte dich das vielleicht bewegen…«
Deoris schüttelte mit einem seltsamen Lächeln den Kopf. »Da muss ich dich leider enttäuschen, mein Liebes. Die Zukunft konnte mich noch niemals wirklich erschrecken. Nein, Tiriki, ich hänge nur Erinnerungen nach. Ist es wirklich siebzehn Jahre her, dass wir genau an dieser Stelle standen - nein, es war oben auf der Terrasse. Der Garten war frisch angepflanzt worden. Und jetzt sieh ihn dir an. Manche Blumen kenne ich bis heute nicht mit Namen. Ich weiß wirklich nicht, wozu ein Mensch Wein braucht - ich kann mich allein an den Düften hier berauschen.«
»Siebzehn Jahre?«, fragte Tiriki etwas zu eifrig.
»Du und Micail, ihr wart noch Kinder«, lächelte Deoris, »als Rajasta kam. Weißt du noch?«
»O ja«, antwortete Tiriki. »Das war kurz vor Domaris' Tod.« In den Augen ihrer Mutter sah sie den Widerschein ihrer eigenen Trauer. »Sie fehlt mir noch immer.«
»Du weißt ja, sie hat auch mich großgezogen, gemeinsam mit Rajasta, der mir näher stand als mein leiblicher Vater«, sagte Deoris leise. »Nach dem Tod meiner Mutter war mein Vater zu sehr mit der Verwaltung des Tempels beschäftigt, um sich um uns zu kümmern. So nahm sich Rajasta meiner an, und eine andere Mutter als Domaris hatte ich ohnehin nie gekannt.«
Tiriki hatte die Geschichte schon tausend Mal gehört, dennoch fasste sie gerührt nach Deoris' Hand. »Dafür hat mir ein gütiges Schicksal gleich zwei Mütter beschert.«
Deoris nickte. »Auch du warst ein Himmelsgeschenk für mich, Tochter, obwohl ich so lange warten musste, bis ich dich kennen lernte! Galara ist mir natürlich nicht weniger teuer«, fügte sie mit einem fast schon vorwurfsvollen Blick auf Tiriki hinzu.
Der Altersunterschied zwischen Tiriki und Deoris' und Reio-tas gemeinsamer Tochter war so groß, dass die beiden wenig gemeinsam hatten. Mit Nari, dem Sohn, mit dem Deoris ihrer Pflicht genügt und für priesterlichen Nachwuchs gesorgt hatte, verband sie weit mehr. Er war Priester geworden und lebte auf Klein-Tarisseda.
»Galara«, wiederholte Tiriki nachdenklich. »Sie ist jetzt dreizehn?«
»Ja. Genauso alt wie du, als Rajasta mich hierher brachte. Er war einer der Obersten Priester im Alten Land und besaß vielleicht die größte Erfahrung von uns allen, wenn es darum ging, den Lauf der Gestirne zu deuten. Er kam zu dem Ergebnis, uns blieben noch sieben Jahre - doch was er prophezeite, war der Zeitpunkt seines eigenen Todes. Damals dachten wir, er hätte sich vielleicht auch bei allem anderen geirrt. Wir hofften es…« Sie brach einen Lavendelzweig ab und drehte ihn zwischen den Fingern. »Ich werde diese Insel sehr vermissen! Aber ich darf mich nicht beklagen; mir wurden noch zehn weitere Jahre geschenkt, um dich zu lieben und diesen herrlichen Flecken Erde zu genießen. Dabei müsste ich schon seit vielen, vielen Jahren an der Seite deines Vaters liegen.«
Sie hatten das Herz der Spirale erreicht und näherten sich dem Heiligtum der Großen Mutter.
Tiriki blieb stehen. Sie verstand, dass ihre Mutter nicht Reio-ta
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