Die Ahnen von Avalon
du bei mir. Aber es steht zwei gegen einen, und ich könnte mir denken, dass mein Gemahl etwas moralische Unterstützung gebrauchen könnte.«
Tiriki gab sich geschlagen und folgte ihrer Mutter zurück auf die Veranda, wo die Männer vor ihren Bechern und zwei kleinen Krügen mit carischem Wein saßen.
Micail machte ein finsteres Gesicht, und auch Chedan starrte unverwandt in seinen Becher. Nur Reio-ta schien mit sich im Reinen.
Tiriki fragte Micail nur mit den Augen: Heißt das, auch er ist weiterhin zum Bleiben entschlossen?
Micail nickte leicht. Tiriki wollte sich schon ihrem Ziehvater zuwenden, um abermals ihre Überredungskünste spielen zu lassen, doch stattdessen wies sie auf Deoris und rief: »Du wärst sofort bereit, wenn sie sich dafür entschieden hätte! So opfert jeder den anderen, und das ist so sinnlos. Du musst einfach Ja sagen!«
Deoris und Reio-ta wechselten einen müden Blick, und Tiriki überlief es so eiskalt, als wäre sie als junge Priesterschülerin versehentlich in ein geheimes Ritual geraten.
»Euer Schicksal ist es, das Wissen der Hüter in ein neues Land zu tragen«, sagte Deoris sanft, »unser Karma aber ist es, hier zu bleiben. Das ist kein Opfer, wir haben eine Schuld zu sühnen, die wir vor…«
Reio-ta vollendete den Gedanken: »… dem Untergang des Alten Landes auf uns geladen haben.«
Chedan hatte gequält die Augen geschlossen. Micail blickte von einem zum anderen. Plötzlich kam ihm ein Verdacht, und er zog die Stirn in Falten.
»Eine Schuld«, wiederholte er leise. »Sag mir, Onkel - was weißt du über den Mann mit den Gekreuzten Händen?« Seine Stimme zitterte, und Tiriki spürte, wie der Stein unter ihren Füßen erbebte, als hätte noch etwas die Worte vernommen.
»Was?«, stieß Reio-ta heiser hervor, und sein Gesicht wurde aschgrau. »Er zeigte sich euch?«
»Ja«, flüsterte Tiriki, »heute Morgen, als die Erde bebte, versuchte er, seine Ketten zu sprengen. Und ich - ich kannte seinen Namen! Wie kann das sein?«
Wieder tauschte Deoris einen seltsamen Blick mit ihrem Gemahl, und Reio-ta fasste nach ihrer Hand.
»Damit liefert ihr uns, ohne es zu ahnen, den letzten Beweis«, sagte Deoris ruhig. »Es ist unsere Pflicht und unser Schicksal zu bleiben. Setzt euch.« Sie wies gebieterisch auf einen Stuhl. »Tiriki, ich erkenne jetzt, dass ich dir und Micail auch den Rest der Geschichte erzählen muss. Selbst du, Chedan, alter Freund, weißt nicht alles. Du magst ein Meister der Mysterien sein; aber deine Lehrer konnten dir die Teile der Geschichte nicht vermitteln, die sie selbst nicht kannten.«
Reio-ta holte tief Luft. »Ich… ich habe meinen Bruder geliebt.« Sein Blick huschte flehentlich zu Micail. »Sogar im Tempel des Lichtes… gibt es immer einige… die der Finsternis dienen. Wir wurden… von den Schwarzen gefangen genommen. Sie wollten die Macht über Ahtarrath. Ich erklärte mich bereit… ihnen zu helfen… wenn sie ihn verschonten. Aber sie verrieten mich und suchten ihn zu töten. Micon jedoch… erhielt sich lange genug am Leben… um dich zu zeugen und seine Kräfte auf dich zu übertragen.«
Tiriki sah von einem zum anderen. Mitgefühl übermannte sie. Jetzt verstand sie, warum Micail und nicht Reio-ta das magische Erbe des königlichen Geschlechts mitbekommen hatte. Wäre Micon vor der Geburt seines Sohnes gestorben, so wäre Ahtarraths Magie auf Reio-ta und damit auf die schwarzen Hexer übergegangen, die ihn in ihrer Gewalt hatten.
»Sie haben… seinen Körper zerstört«, stammelte Reio-ta. »Und… meinen Geist. Ich wusste… noch lange danach nicht, wer ich war. Riveda nahm mich auf,… und ich… half ihm…«
Tirikis Blick wanderte zu ihrer Mutter. Was hatte das mit dem Mann mit den Gekreuzten Händen zu tun?
»Reio-ta gehorchte Riveda, wie ein Hund dem gehorcht, der ihn füttert«, verteidigte Deoris ihren Gemahl. »Er wusste nicht, was er tat. Ich dagegen liebte Riveda, weil er den Wunsch hatte, neues Leben in die Welt zu bringen, und deshalb war ich ihm behilflich. In der Krypta unter dem Tempel des Lichtes gab es ein… Bildnis, das jedem, der es betrachtete, in anderer Gestalt erschien. Mir zeigte es sich immer als gefesselter Gott mit überkreuzten Armen, der sich gegen seine Ketten stemmte. Das Bildnis hielt die Kräfte des Chaos gefangen. Zu dritt vollzogen wir das Ritual, um diese Macht freizusetzen, denn Riveda glaubte, wenn er die Fesseln sprengte, könnte er über die Energien gebieten, von denen die Welt in Gang
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