Die Akademie der Abenteuer - Die Knochen der Götter
Saurini fest in die Augen. Wollte der Direktor ihn auf den Arm nehmen? Aber dann antwortete er: »Was ich mit vorstelle, ist das, was zwei Brüder namens Paolo und Giorgio vor ein paar Hundert Jahren die ›Academia der Abenteuer‹ genannt haben.«
Gino Saurini sprang auf, und sein Gesicht erstrahlte in einem breiten Lächeln.
»Du hast sie gesehen!«, rief er. »Du hast sie wirklich gesehen. Ich gratuliere dir, Rufus. Das ist die einzige Frage, um die es wirklich ging!«
Einsame Entscheidung
»Das Entscheidende ist, ob man die Begabung dazu hat.« Direktor Saurini saß wieder in seinem Ledersessel und war dabei, Rufus zu erklären, was er eben erlebt hatte. »Wenn du sie hast und in der Akademie ein Artefakt berührst oder bei dir trägst, das aus vergangener Zeit stammt, kann es geschehen, dass sich dir die Zeit öffnet und das Artefakt dir seine Geschichte preisgibt.«
»Aber was ist das für eine Begabung?«, wollte Rufus wissen und schielte immer noch auf das seltsame Buch, das jetzt völlig unscheinbar auf dem Tisch lag. »So was habe ich noch nie gehört.«
»Sie hat keinen Namen. Aber du scheinst sie zu haben«, antwortete Saurini bedächtig. »Es gibt Menschen, die die Gabe besitzen, sich mit der Vergangenheit und ihren Fragen auf eine besondere Art zu beschäftigen. Menschen, die eine ungewöhnliche Beziehung zur Geschichte besitzen. Und du gehörst offenbar dazu. Das Buch der beiden Brüder ist eine Art Gradmesser. Es spricht viel leichter zu den Begabten als andere Artefakte. Vielleicht liegt es an den beiden Brüdern. Vielleicht wussten sie noch etwas, was wir heute nicht mehr wissen. Ich kann es dir nicht sagen. Wer das Buch berührt, dem kann es jedenfalls die Geschichte der Namensfindung der Akademie erzählen.« Wieder strahlte Saurini. »Ich liebe diesen Moment! Leider sieht ihn nur, wer das Buch berührt. Bei anderen Artefakten ist das meistens nicht so. Wenn eine Flut auftaucht, sehen sie zwar zunächst meistens auch nur die Artefakthalter. Aber spätestens wenn sie größer wird …«
»Eine Flut?«, unterbrach ihn Rufus. »Was denn für eine Flut?«
»Eine historische Flut natürlich. Eine Zeitwelle, die durch die Akademie strömt. So etwas, wie du es eben erlebt hast. Nur noch gewaltiger, sehr viel gewaltiger mitunter. Auf alle Fälle sprechen in der Akademie die alten Gegenstände zu den Begabten. Nicht immer und nicht jedes Mal, wenn sie etwas berühren, aber ab und zu.«
»Die Dinge zeigen ihre Geschichte?« Rufus sperrte den Mund auf.
»Genau!«, rief Gino Saurini begeistert. »Es ist eine ganz andere Geschichtsforschung, als die Menschen sie normalerweise betreiben. Sonst stellen die Menschen die Fragen nach der Geschichte, weil sie wissen wollen, wie es früher zuging oder wie es dazu kam, dass es heute aussieht, wie es aussieht. Oder weil sich die Menschen, seit sie sich bewusst geworden sind, dass das Heute nur ein Moment zwischen Gestern und Morgen ist, fragen, in welchen großen Zusammenhängen sie leben.«
Gino Saurini hielt inne und blickte auf das Buch.
»Wir stellen auch Fragen an die Geschichte. Aber wir bekommen die Antworten von der Geschichte selbst erzählt. Bei uns kann niemand behaupten, so oder so könnte es früher gewesen sein, und deswegen sei die Welt heute so oder so. Nein, wir hier erfahren die ganze Wahrheit. Jedenfalls, wenn wir ihr mit unserer ganzen Kraft nachforschen. Das könntest du hier lernen, Rufus. Bei uns wählen die historischen Dinge aus, ob sie zu einem von uns sprechen wollen. Ich kann dir nicht sagen, warum das so ist. Nur, dass es so geschieht. Vielleicht wollen sie einfach nur erzählen, was ihnen passiert ist. Vielleicht wollen sie noch einmal aus dem Reich des Vergessens treten. Vielleicht ist das Ganze Teil eines größeren Plans … Das wissen wir nicht. Normalerweise ist es die große Leistung des Geschichtsforschers, mit gründlicher Kenntnis der Vergangenheit die Frage nach der Bedeutsamkeit ihrer Teile zu stellen. Aber hier sind es die Teile selber, die sich zeigen und zu uns sprechen. Und wir an der Akademie genießen die Gunst, dieses vergangene Leben mit ihnen zu teilen.«
»Sie meinen so wie eben? Dass man dann wirklich dabei ist?«, fragte Rufus. Er konnte es immer noch nicht ganz glauben.
Direktor Saurini breitete die Arme aus. »Ja. Es ist nie gleich. Mal sehen wir mehr, mal weniger. Mal sind wir sehr dicht dabei, können die Dinge berühren, anfassen, mitunter sogar mit einem Menschen sprechen. Manchmal dagegen
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