Die Akte Daniel (German Edition)
und die sie auch noch besuchten, wenn die Ferien anstanden.
Daniel würde wohl als Waisenkind geführt werden. Sie hatten zwar die Daten seiner Eltern, aber diese würden nicht lange nach ihm suchen, wenn sie es denn überhaupt taten. Stella ging einfach davon aus; ihre Erfahrung war in dieser Hinsicht reich.
Doktor Fearman erwartete sie schon, als sie mit Daniel im Behandlungszimmer eintrafen. Er sagte nichts, da er nicht ihr Vorgesetzter war. Aber sein Blick sprach Bände.
Wortlos lotste er die drei Befreier in einen separaten Teil und begann mit der Untersuchung. »Seid ihr anderen in Ordnung?«, wollte er wissen.
Stella rümpfte die Nase. »Ein gewisser ungeschickter Jemand hat meine Frisur ruiniert, aber sonst alles okay.«
Doktor Fearman, ein schwarzer Mann mit beeindruckender Größe und einem Kiefer, der Furcht einflößte, musterte sie. Dann nickte er. »Es wächst wieder nach. Geht und lasst euch behandeln, ich komme hier allein zurecht.«
Die drei angeschlagenen Retter nickten und verließen den Raum.
Fearman beugte sich über Daniel und setzte die Untersuchung fort. Keine Verletzungen, keine implantierten Nano-Sonden oder ähnliches, nur Beruhigungsmittel. Aber sicher war sicher.
Fearman untersuchte Herzschlag und Gehirnströme. Er rief Johnson, seinen Assistenten, und nahm Daniel Blut ab, dann wies er an, dass der Junge geröntgt und ein CT auf genommen werden sollte.
Erst dann konnten sie wirklich sicher sein, dass ihre Feinde den Jungen nicht schon zum Inventar ihrer Organisation gemacht hatten. Fearman instruierte Johnson schließlich über das weitere Vorgehen: »Gib ihm, wenn wir fertig sind, einen Vitamin-, Mineralien- und Aminosäuren-Cocktail. Er ist chronisch unterernährt. Er braucht zudem einen umfassenden Check seiner Begabung. Sag Mrs. Terranto, dass er in den nächsten Tagen ihr besonderer Schützling sein soll.«
Der Assistent nickte. »Wo sollen wir ihn unterbringen? Oben bei den anderen Jugendlichen?«
»Überlass das Mrs. Terranto. Er soll für diese Nacht ins Beobachtungszimmer. Dann werden wir sehen.«
4
O.D. Internat für begabte Kinder und Jugendliche in der Grafschaft Hampshire an der Südküste Englands
Daniel erwachte in völliger Desorientierung. Vage, verschwommene Bildfetzen schwebten durch seinen Kopf; Bilder von einer dunklen Gestalt, Schmerz in seinem Arm, Stimmen ...
Er setzte sich auf und blinzelte.
Ein helles Zimmer, das ein wenig an das in einem Krankenhaus erinnerte, aber nicht bedrohlich war, konnte er mit einem Blick ausmachen. Doch das erklärte nicht, wo er sich wirklich befand.
Sein Arm war fixiert und darin steckte eine Kanüle, die mit einer Flasche verbunden war. Das war eindeutig ein Indiz dafür, dass er sich in einem Krankenhaus befinden konnte. Aber alles sah hier teuer aus und seine Eltern konnten sich ein Privatkrankenhaus ganz sicher nicht leisten. Die Flüssigkeit in der Flasche tropfte langsam in seine Vene. Sein Arm fühlte sich dadurch ein wenig kalt an.
Verwirrt ließ Daniel sich wieder zurücksinken. Das Zimmer hatte ein großes Fenster mit einem weißen Gitterkreuz. Es war offen und von draußen konnte er Kinderlachen hören und Vogelgezwitscher. Es war angenehm warm und es roch hier alles so sauber.
Ganz bestimmt war er in einem Krankenhaus. Vielleicht hatte man ihn gefunden und dort hingebracht, aber sie würden ihn rausschmeißen, sobald man erfuhr, dass er keine ausreichende Krankenversicherung hatte.
Aber was war eigentlich passiert?
Als hätte jemand seine stumme Frage gehört, klopfte es kurz und eine Frau trat durch die Tür. Sie war klein und mollig und hatte Lachfalten im Gesicht; das typische Bild einer »netten Tante«, dachte Daniel.
»Hallo Daniel. Wie geht es dir?«, fragte sie freundlich.
»Gut, denke ich.« Er zog seine Decke etwas höher und lächelte schüchtern. Er konnte von der Frau keine Gedanken spüren. Das verwirrte ihn. Sie war wie dieser Mann, dessen Gedanken er nicht hatte lesen können – zum ersten Mal in seinem Leben. Und jetzt traf er gleich auf den nächsten Menschen, dessen Gedanken für ihn unhörbar waren.
»Ich bin Diana Terranto«, stellte sich die Frau vor. »Wenn du Hunger hast, bringen wir dir etwas Ordentliches zu essen, aber der Tropf muss noch ein bisschen dranbleiben. Du hast leider ziemliche Mangelerscheinungen.« Sie trat näher und setzte sich auf einen Stuhl neben dem Bett. »Erinnerst du dich an irgendetwas?«
»Ähm, ja. Ein Mann hat mich entführt.
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