Die Akte Daniel (German Edition)
Koboldartiges, was Daniel verstörte und gleichzeitig neugierig machte. Der Goth-Junge schob einen Kaugummi in den anderen Mundwinkel, musterte Daniel, wie dieser ihn musterte.
»Jesusallahbuddha, du siehst echt mitgenommen aus«, verkündete er dann sein Urteil ohne erkennbaren Filter von Anstand oder Erziehung.
»Ähm«, gab Daniel nicht sehr geistreich von sich. Der fremde Junge trat ungeniert näher. »Mrs. Terranto sagte, du brauchst jemanden, der dich rumführt. Hier bin ich. Mir gibt ja sonst keiner was zu tun, also mache ich halt den Museumsführer. Oder Babysitter, aber das willst du sicher nicht hören. Kommst du?«
Daniel blinzelte erneut. Das war also sein Fremdenführer oder Babysitter, was wohl tatsächlich treffender war. »Aha, toll, und wie heißt du überhaupt? Und ich komme garantiert nicht so mit. Ich habe ja gar nichts an.«
»Erstens Sunday Renard und zweitens gucken wir doch mal im Schrank.« Der seltsame Junge spazierte durchs Zimmer und öffnete die Schranktüren. Gleich darauf wurde Daniel mit Unterwäsche, einer dunkelblauen Hose und einem Kapuzenpulli beworfen. »Hier, zur Tarnung. Aber wenn du mit mir unterwegs bist, werden dich die anderen sowieso nicht sofort belagern.« Er grinste und produzierte eine beachtliche Kaugummiblase.
»Die anderen«, murmelte Daniel. Er sah zum Fenster. Natürlich, er hatte Kinder lachen hören. Vorsichtig zog er sich Slip und Hose über. Beim Pullover musste er jedoch passen. Dieser ließ sich nicht anziehen. »Muss so gehen«, meinte er und tappte zu Sunday. »Ich heiße übrigens Daniel.«
»Jau, weiß ich schon. Ach ja, hier.« Sunday fischte ein paar Latschen aus dem unteren Fach des Schranks. »Wenn du länger bleibst, gehen wir dir was Anständiges zum Anziehen einkaufen. Oder was Unanständiges, mal sehen.« Er hängte Daniel kurzerhand den Pullover um die Schultern und fand wohl, dass sein Schützling ganz vorzeigbar war.
Daniel überging derweil das mit dem Unanständigen. Aber bei Sundays Anblick hatte er eine ungefähre Vorstellung, was dieser sich darunter vorstellte. »Bist du ein Stricher?«, fragte er.
Sein Gegenüber brach in Lachen aus. »In dem braven Verein hier tät ich doch nie Geld machen«, prustete er. »Außerdem hab ich genug Taschengeld. Bin der Pflegesohn von einem der Chefs hier.« Er zögerte kurz. »Ups, das klang eingebildet. Sollte es aber nicht.«
»Oh!« Daniel war verblüfft und dann war es ihm peinlich, als ihm bewusst wurde, was er unterstellt hatte. »Entschuldigung. Ich wollte nicht ... Ach, verdammt. Ist wohl dann dein persönlicher Modestil. Na ja, soll’s ja geben, dass es Leute gibt, die für zerrissene Klamotten mehr Geld ausgeben als für ganze. Mir ist es persönlich zu kalt.«
»Ist ja auch kein Wunder, weil du nichts auf den Rippen hast«, urteilte Sunday erbarmungslos. »Aber das beheben wir noch. In der Cafeteria gibt’s heute Curryhuhn und Schokoladenpudding. Einwände? Nein. Gut. Magst du jetzt mitkommen? Mrs. Terranto meinte, ich würde dich vielleicht verschrecken. Habe ich dich verschreckt?«
»Ähm!« Daniel fuhr sich hilflos durch die Haare und schüttelte den Kopf. So einem Menschen war er in seinem ganzen Leben noch nie begegnet und dessen Gedanken waren ihm genauso verschlossen wie bei Mrs. Terranto und diesem seltsamen Mann. »Seid ihr alle so komisch hier?«, fragte er verzweifelt.
»Nein, keine Sorge. Einige sind schlimmer. Aber sie benehmen sich besser als ich, wirklich«, versuchte Sunday ihn zu beruhigen und lächelte verblüffend unschuldig. »Der Verein hier ist wirklich okay, selbst für meine Maßstäbe.«
Damit konnte Daniel noch weniger anfangen. Aber er lächelte zaghaft. »Ich denke, ich schaue es mir einfach an«, schlug er vor.
Angetan mit Schlappen schlurfte er neben Sunday aus seinem Zimmer und fand sich auf einem langen Flur wieder, der von Licht geradezu überflutet wurde. Es war ein Anblick wie in einem Märchen.
Das Haus war sicher schon älter. Daniel kannte sich mit Architektur nicht aus, aber so etwas wurde sicher heutzutage nicht mehr gebaut. Riesige Glasfenster, die bis zum Boden reichten, Muster an den Decken und Dutzende von Spiegeln an den Wänden. Draußen vor den Fenstern blühten Rosenbüsche.
»Das Haus gehörte mal ’nem reichen Adelsfuzzi, der es dann unserem Verein stiftete. Wir sind hier übrigens in der Nähe von Hampshire, wenn’s dich interessiert. Offiziell das O.D. Internat für begabte Kinder und Jugendliche «, erzählte Sunday
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