Die Akte Kachelmann
sich bestätigen, als sich die schlanke Schwarzhaarige wenige Minuten später ausweisen muss. Marta G., eine 24-jährige Psychologiestudentin aus Ostdeutschland, hat den 27 Jahre älteren Jörg Kachelmann abgepasst.
«Es wurden Zärtlichkeiten ausgeteilt», wird Kriminalhauptkommissar Horst D. am dritten Verhandlungstag aussagen, «was man normalerweise wohl als Rumgeknutsche bezeichnen würde.» Der Angeklagte, sonst zu Beginn seines Prozesses immer ernst, lacht verschmitzt,als er fast ein halbes Jahr später hört, wie der Einsatzleiter die Küsse wahrnahm.
Am Flughafen Frankfurt hat es nicht den Anschein, als würde der eben Gelandete ahnen, was in den nächsten Minuten auf ihn zukommt. Die Zivilbeamten observieren das Paar, sie sehen, wie Kachelmann es schafft, Gepäck zu schleppen und gleichzeitig seine Begleiterin zu umklammern und immer wieder zu küssen.
Für den Fall, dass die Fährte verloren geht, ist vorgesorgt: Die beiden Kriminaltechniker vom Dezernat 43 warten sicherheitshalber bei Kachelmanns Auto auf Parkfeld 29. Doch die Spurensicherung muss nicht eingreifen. Alles klappt. Stolz wird die hessische Landespolizei in einem internen Bericht schreiben, es sei gelungen, an «einem so öffentlichen Platz wie dem Frankfurter Flughafen» eine prominente Person festzunehmen, «ohne dass die Öffentlichkeit etwas davon mitbekommt».
Die Ermittler folgen Kachelmann und der angehenden Psychologin so unauffällig wie möglich, drei oder vier dicht dran, drei oder vier etwas abgesetzt. Sie wechseln sich ab auf dem langen Fußweg zum Parkhaus. Drei Polizisten steigen mit in den Fahrstuhl. Ein älteres Paar fährt auch mit. Auf dem Parkdeck, wo der graue Volvo steht, steigen aber nur Kachelmann und seine Begleiterin aus. Und die Verfolger.
Die Polizisten lassen den beiden den Vortritt. Nun sind Observierer und Observierte allein. Keine Augenzeugen. Kein Aufsehen.
Die Fahnder beschleunigen ihren Schritt etwas, gehen an Kachelmann und seiner Begleiterin vorbei. Dann wenden sie. Nach 45 Minuten endet die Geheimoperation. 50 Meter vor dem Volvo spricht Kriminalhauptkommissar Horst D. den Fernsehmoderator an.
Die breitschultrige Polizistin Karen M. packt die zierliche Marta G., die Jörg Kachelmann ein knappes Jahr später heiraten wird, am Arm und führt sie einige Meter weg, wo sie ihr die Situation zu erklären versucht. Der Psychologiestudentin mit den großen dunklen Augen steht der Schrecken ins Gesicht geschrieben. Sie bricht in Tränen aus.
Und Kachelmann? Nichts dergleichen. Er versucht nicht wegzulaufen,er wird nicht aggressiv. «Er reagierte», wird Einsatzleiter D. später vor Gericht sagen, «kalt, emotionslos.» «Alles ging sehr ruhig über die Bühne», wird einer der beiden männlichen Kollegen berichten, welcher die Verhaftung absichert. Ein Kriminaltechniker, der einige Meter entfernt postiert ist, sagt dem Gericht, er hätte eine andere Reaktion erwartet: «Dass er lauter wird und betroffener.» Doch Jörg Kachelmann gibt sich nicht empört, nicht betroffen, er protestiert nicht.
Hat er seine Verhaftung erwartet? Oder ist er gelähmt ob des Unerwarteten? Ist er abgeklärt? Oder schockiert? Um die Interpretation der Beinahe-Reglosigkeit, die mehrere Anwesende schildern, werden sich später Staatsanwaltschaft und Verteidigung streiten.
Der Heuchler hat den Überraschten gespielt, wird Sonja A. irgendwann in ihr «warum.doc» schreiben. Bestimmt habe er in den sechs Wochen einen ausgeklügelten Lügenplan ausgeheckt.
Auf einen der beiden Spurensicherer macht Jörg Kachelmann im Augenblick seiner Verhaftung einen etwas anderen Eindruck. Auf den Kriminaltechniker wirkt der Festgenommene wie einer, der ahnt, dass er mit versteckter Kamera reingelegt wird. Jörg Kachelmann hatte Mitte der 90er-Jahre im Bayrischen Rundfunk die Sendung «Vorsicht, Blöff!» ein paar Mal moderiert, die so funktionierte. Doch dieses Mal ist nichts geblufft.
Um 11.45 Uhr bekommt Jörg Kachelmann einen roten Haftbefehl in die Hand gedrückt. Einsatzleiter D. erklärt ihm seine Rechte und Pflichten und nimmt eine Leibesvisitation vor. Das Gepäck wird ihm abgenommen. Darunter ein Laptop und drei Handys: ein US-Billiggerät, ein Nokia E51 und ein Blackberry. Jörg Kachelmann darf seine Begleiterin noch kurz umarmen. Seinen Wagenschlüssel händigt er der Polizei aus, damit das Auto an Ort und Stelle durchsucht werden kann.
Der schief geparkte S80 bleibt der Spurensicherung in Erinnerung wie den meisten, die einmal mit
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