Die Akte Kachelmann
auch Kölner Taxifahrer.
Jeder Jeck ist anders, heißt es in Köln. Doch unterschiedlichere Anwaltstypen als Ralf Höcker und Reinhard Birkenstock findet man kaum ein zweites Mal, wo der Kölner Dom seinen Schatten wirft. Beide verbindet zwar die Liebe zum Auftritt vor der Kamera, zur scharfen Rhetorik, zu Wortspielen, zum juristischen Powerplay. Doch damit enden fast schon die Gemeinsamkeiten. Höcker und Birkenstock verkörpern unterschiedliche Berufskulturen, Arbeitsweisen, politische Ansichten. Höcker, Angehöriger der Generation Golf, CDU-Sympathisant, führt eine junge Kanzlei in lichtdurchfluteten Räumen, mit weißer und knallgrüner Designerplastik. In seinem Büro stehen Basketballschuhe im Regal.
Im geräumigen Arbeitszimmer von Alt-68er Birkenstock – er machte für die Sozialdemokraten Lokalpolitik – reihen sich die juristischen Klassiker in der Bücherwand aus schwerem Holz aneinander. Der eine moderiert Justiz-Fernsehsendungen wie «Einspruch – die Show der Rechtsirrtümer» im Privat-TV. Der andere berichtet mit Augenzwinkern, er schalte solche Sender nie ein.
Höcker betreibt – auch wenn er den Ausdruck nicht mag – Litigation-PR, juristische Public Relations für seine Mandanten. Er wird es «mediale Notwehr» nennen, wenn er, wie im Fall Kachelmann, versucht, Presse und Rundfunk auf die in seinen Augen richtige, nämlich entlastende Fährte zu führen.
Birkenstock, ein Mann von gewichtiger rheinländischer Gemütlichkeit, findet es angebrachter, sich mit einem Reporter oder einer Reporterin seines Vertrauens bei einem Mannheimer Eichbaum Pils oder zwei über einen Fall auszutauschen. Darin sieht er nichts Anrüchiges, sonst würde er das kaum in aller Öffentlichkeit tun.
Doch nun bilden die beiden nicht nur politisch Gegensätzlichen das Juristenduo für Jörg Kachelmann, der Mitglied der Schweizer Christdemokraten war oder ist. Anfangs, unter Hochdruck, harmonieren die beiden Kölner.
In Mannheims rechtwinkliger Innenstadt gibt es statt Straßennamen und -nummern Quadrate. Reinhard Birkenstock hat sich früh aufgemacht zum Quadrat Mi, einem Gebäude, das wirkt wie ein nach Westdeutschland verpflanzter Plattenbau. An der Fassade sindReste der Buchstaben «NATIONAL» zu sehen, drinnen sind mehrere Dienststellen der Staatsanwaltschaft untergebracht.
In der ersten Etage lernt Birkenstock Lars-Torben Oltrogge kennen, den jungen Staatsanwalt, mit dunkelblonden Locken bis zu den Schultern, schmalem Gesicht und dem stechenden Blick. «Engel von Mannheim» werden ihn die Journalisten untereinander nennen, die ihn Monate später beim Prozess gegen Jörg Kachelmann erleben. Der Engel denkt schnell, lacht gerne und wird laut, wenn ihm etwas nicht passt.
Mit dem hartnäckigen Oltrogge und dem väterlich wirkenden Oberstaatsanwalt Oskar Gattner will Birkenstock an diesem Morgen über eine Kaution für seinen Schweizer Mandanten reden. Übers Wochenende hat Kachelmanns Freundeskreis abgeklärt, dass mehrere hunderttausend Euro auf die Schnelle aufgetrieben werden könnten. Doch die Ermittler erklären Birkenstock, das sei sinn- und zwecklos. Bei einer solchen Verdachtslage käme kein Verdächtiger gegen eine Geldzahlung aus dem Gefängnis. Die Staatsanwaltschaft händigt dem Kölner Strafverteidiger die ersten 161 Seiten der Akte «Kachelmann, Jörg, sexuelle Nötigung, Vergewaltigung» aus. Was vorliegt, füllt keinen Leitzordner. Damit tritt Reinhard Birkenstock seinen Dienst als strafrechtlicher Pendeldiplomat zwischen Staatsanwaltschaft und Gefängnis an. Er fährt mit allem Schriftlichen, was gegen seinen Mandanten vorliegt, zum denkmalgeschützten roten Backsteingebäude der JVA Mannheim. Das Dossier enthält noch nicht viel mehr als die Protokolle der Aussagen der Radiomoderatorin und ihrer Eltern, einige Polizeivermerke, eine Passagierliste des Lufthansa-Flugs LH492 Frankfurt – Vancouver mit dem Eintrag «Mr Kachelmann Joerg», die Verbindungsdaten des Handys der Anzeigeerstatterin, das rechtsmedizinische Gutachten von Professor Rainer Mattern und das Protokoll des Notrufs vom 9. Februar um 8.11 Uhr.
Sonja A. hat schlecht, hat kaum geschlafen in den zwei Nächten, seit sie weiß, dass Jörg Kachelmann zwölf Kilometer entfernt von ihrem Zuhause in U-Haft sitzt. Übermüdet betritt sie das Sunshine-Live-Studio.
Beim Landgericht Köln geht ein dringender Verfügungsantrag von einem ein, der hier oft vorstellig wird: Ralf Höcker verlangt, die Justiz solle der «Bild»-Zeitung
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