Die Akte Kachelmann
dem bekennenden Chaoten Kachelmann mitgefahren sind. Insgesamt macht das Fahrzeug einenunaufgeräumten Eindruck, steht im «Spurensicherungsbericht» aus Heidelberg. Im Volvo herrscht Durcheinander. Über seinen «Müllwagen» hat sich Jörg Kachelmann früher bisweilen selbstironisch geäußert. Der Nomade hat darin gegessen und geschlafen, wenn er sich zwischen seinen Welten bewegte. Nun stößt die Spurensicherung auf ein benutztes Taschentuch neben einer CD von DJ Ötzi in der Fahrertür, auf ein paar gängige Pillen, überall auf Exemplare der Autogrammkarten, die sie schon vom Kühlschrank von Sonja A. kennt. Unten vor dem Beifahrersitz liegt eine Ausgabe der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung» vom Tag vor der fatalen Schwetzinger Nacht. «Zuckerbrot und Peitsche» lautet eine Überschrift auf der Titelseite.
Über eine Stunde lang untersuchen die zwei Kriminaltechniker aus Heidelberg den Volvo, unterstützt von einem Frankfurter Kollegen. Der Aufwand ist groß, der Ertrag gering. Neben dem Taschentuch, das im weiteren Verfahren keine Rolle spielen wird, stellen die Kriminaltechniker einzig eine Rechnung des nahen Holiday Inn sicher. Immerhin wissen die Ermittler nun, wo Jörg Kachelmann übernachtete, nachdem er Sonja A. endgültig verlassen hatte.
Vom Verhafteten hätten sie dies so schnell nicht erfahren. In den Räumen der Flughafenpolizei will Einsatzleiter Horst D. Kachelmann vernehmen. Doch der sonst so Redselige sagt kein Wort. Er macht von seinem Recht zu schweigen Gebrauch und spricht erst wieder, als er seinen Anwalt Ralf Höcker, der ihn in Medienfragen vertritt, anrufen darf.
Der Kölner Jurist verspricht Kachelmann, einen Strafverteidiger zu organisieren. Medien- und Promianwalt Höcker überlegt, wen er beiziehen soll und entscheidet sich für einen, der seine Kanzlei ganz in seiner Nähe hat, den er aber bislang nur aus der Presse und vom Hörensagen kennt.
Wenig später meldet sich in Frankfurt ein Dr. Birkenstock aus Köln. Er macht sich nach einem kurzen Telefonat unverzüglich auf den Weg zu seinem neuesten Mandanten. Ab sofort wird Kachelmanns Fall Strafverteidiger Reinhard Birkenstock rund um die Uhr beschäftigen, ein halbes Jahr lang, bis zum für ihn bitteren Ende.
Der Verhaftete muss Fingerabdrücke abgeben, er wird fotografiert. Abgekämpft, irgendwie abwesend, blickt er in die Kamera. Einen DNA-Abstrich und eine Haarentnahme verweigert er. Vorerst noch.
Das Thermometer zeigt frühlingshafte 17 Grad an diesem 20. März 2010, als Jörg Kachelmann ins Zentralgewahrsam des Frankfurter Amtsgerichts eingeliefert wird. Rechtsanwalt Birkenstock lernt Jörg Kachelmann in Handschellen kennen. Eine Richterin ordnet um 16.52 Uhr an, dass der Haftbefehl vollstreckt wird. Grund: Fluchtgefahr.
Als Kachelmann abends nach Mannheim überbracht wird, regnet es in Strömen. Es schifft, sagt der Mann zu diesem Wetter, der im Polizeifahrzeug mit einem speziellen Gefangenentransportgürtel festgebunden ist. Er trägt Handschellen.
Die Kriminalkommissarin Karen M. fährt langsam auf der Autobahn. Im Rückspiegel beobachtet sie Jörg Kachelmann. Der Schweizer hat den Kopf nach hinten gelehnt. Die Augen geschlossen. Was geht in ihm vor? Schläft er?
Um 18.27 Uhr wird Häftling H 08 1008 100 553 in der Justizvollzugsanstalt Mannheim aufgenommen. Im größten Gefängnis Baden-Württembergs belegt er einen von 792 Plätzen. Die Schwetzinger Polizei informiert den Anwalt von Sonja A. über die Festnahme. Sie haben ihn, schreibt das mutmaßliche Opfer, datiert am 20. März, in sein elektronisches Tagebuch.
Und wie ergeht es dem Neuen unter den Verurteilten und Verdächtigen in der JVA Mannheim? Einen «Haftschock» habe er erlitten, wird er später erzählen, als er in der Anlage ankam, die der Großherzog von Baden vor über hundert Jahren erbaute. An die ersten 24 oder 48 Stunden, das erste Wochenende, könne er sich «nur schemenhaft» erinnern.
«Die Zelle war so, wie man es sich für einen Regimegegner in Nordkorea ausmalt», wird er in einem Interview mit dem «Spiegel» zitiert. «Sie müssen sich einfach allen Dreck, alle Scheiße im Klo und ganz viele Kakerlaken auf einmal vorstellen.»
Sonja A. fürchtet sich vor der Öffentlichkeit. Ihren Namen in den Medien zu hören oder zu lesen, schreibt sie ins «warum»-Dokument, werde noch schlimmer sein als die Vergewaltigung. Nach zwei Nächten ist es soweit. Sie wird es die «zweite Hölle» nennen.
Die JVA-Führung wird die Kritik an den
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