Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Akte Vaterland: Gereon Raths vierter Fall (German Edition)

Die Akte Vaterland: Gereon Raths vierter Fall (German Edition)

Titel: Die Akte Vaterland: Gereon Raths vierter Fall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Kutscher
Vom Netzwerk:
rekonstruieren. Demnach sieht es so aus, dass ein ganz normaler Schichtwechsel im Verkehrsturm stattgefunden hat. Gegen vierzehn Uhr …«
    »Und woher wissen Sie das so genau?«
    Lange hob eine schwarze Kladde in die Höhe. »Das Dienstbuch des Verkehrsturms«, sagte er. »Und hier hat Hauptwachtmeister Wengler, höchstwahrscheinlich als eine seiner letzten Taten, für vierzehn Uhr sieben den Schichtwechsel eingetragen und unterschrieben.« Der Kommissaranwärter schaute triumphierend in die Runde. »Allerdings«, fuhr Lange fort, »fehlt die Unterschrift von Unterwachtmeister Scholz, obwohl dessen Name unter Dienstantritt schon vermerkt ist. In der Handschrift von Hauptwachtmeister Wengler.«
    »Das heißt«, sagte Böhm, »Wengler hat den Namen schon hingeschrieben, weil er die Ablösung hat kommen sehen.«
    »Aber Scholz hat nie unterschrieben«, ergänzte Charly. »Die große Frage ist: Warum?«
    Lange nickte. »Wir haben einen Zeugen aus dem Café Josty , der sich sicher ist, dass gegen vierzehn Uhr ein Schupo in den Verkehrsturm geklettert ist.«
    »Um vierzehn Uhr?« Böhm schaute auf seine Taschenuhr. »Und der sitzt jetzt, um kurz vor sieben, immer noch im Josty ?«
    »Wir haben ihn gegen siebzehn Uhr dreißig befragt. Ist ein Schriftsteller oder so was. Solche Leute verbringen ihr halbes Leben in Cafés. Der Mann hat jedenfalls sehr genau beobachtet.«
    Böhm wirkte skeptisch. »Und was hat er so genau beobachtet, Ihr Schriftsteller?«
    »Dass kurz nach vierzehn Uhr ein Verkehrspolizist die Kreuzung überquert hat und die Leiter emporgestiegen ist. Alles ganz normal, wie jeden Tag, sagt der Zeuge. Nur dass er diesmal niemanden hat herunterkommen sehen. Jedenfalls nicht um vierzehn Uhr, sondern erst …« Lange schaute in sein Notizbuch. »… gegen zwanzig nach drei. Wenige Minuten, bevor das Hupkonzert auf der Stresemannstraße begonnen hat.«
    Böhm wirkte immer noch skeptisch. »Macht Ihr Zeuge nichts anderes, als den ganzen Tag auf den Verkehrsturm zu stieren?«
    Lange zuckte die Achseln. »Er beobachtet und schreibt, hat er mir erzählt. Und wie es aussieht, beobachtet er genau. Laut seiner Aussage war der Mann, der den Turm um zwanzig nach drei verlassen hat, derselbe, der ihn gegen zwei bestiegen hat.«
    »Und das war nicht Unterwachtmeister Scholz, meinen Sie?«
    Lange zuckte die Achseln. »Wir werden sehen. Mein Zeuge wartet in Vernehmungsraum A gerade auf den Zeichner.«
    »Gut.« Böhm nickte. »Und auf diesen Scholz sollten wir die Fahndung ansetzen. Da stimmt irgendetwas nicht.«
    »Das sehe ich auch so.« Lange nickte. »Und da ist noch was: Doktor Karthaus geht inzwischen davon aus, dass Hauptwachtmeister Wengler nicht vor fünfzehn Uhr gestorben ist, eher später als früher …«
    »So spät!« Böhm schaute ungläubig. »Das kann doch nicht sein.«
    »Kann es schon«, sagte Charly. Die drei Männer schauten sie an. »Allerdings würde das bedeuten, dass der Mörder, während er den Kollegen Wengler einen langsamen Tod hat sterben lassen, dabei in aller Seelenruhe auch noch den Verkehr geregelt hat.«
    52
    D ie Nachtschicht war die schlimmste von allen. Die Toiletten auf dem Potsdamer Bahnhof waren dann in einem erbarmungswürdigen Zustand, die Urinale und Klosettschüsseln hatten den kompletten Tag hinter sich und sahen aus, als habe auch wirklich jeder Reisende vor Besteigen seines Zuges noch einmal Gebrauch davon gemacht – aber nicht immer dabei so genau getroffen. Als habe sich die ganze Welt gegen ihn verschworen, weil sie wusste, dass es seine Aufgabe war, diesen ekligen, nach Pisse stinkenden Raum wieder sauber zu bekommen. Er hasste es.
    Ja, er hasste es, das war keine Aufgabe für einen Mann!
    Aber was sollte er tun? Eine andere Arbeit fand er nicht, und in diesen Zeiten konnte man froh sein, überhaupt eine Stelle zu haben.
    Er war mit dem Waschraum noch nicht ganz fertig, doch im Augenblick stand niemand an den Urinalen, und er wollte die Gelegenheit nutzen. Er hasste es zu wischen, während die Männer an der Wand standen und pinkelten und nur verächtliche Blicke für ihn übrighatten, wenn sie ihn überhaupt wahrnahmen. Ein paarmal hatte sich sogar schon jemand über ihn lustig gemacht, und er konnte es den Leuten nicht einmal verdenken.
    Er trug Eimer und Schrubber hinüber und wollte loslegen, da hörte er ein Stöhnen aus einer der Kabinen und hielt inne. Hatte er richtig gehört? Seit er den Waschraum putzte, also die letzten zehn Minuten ungefähr, hatte er

Weitere Kostenlose Bücher