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Die Akte Vaterland: Gereon Raths vierter Fall (German Edition)

Die Akte Vaterland: Gereon Raths vierter Fall (German Edition)

Titel: Die Akte Vaterland: Gereon Raths vierter Fall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Kutscher
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wo er auch zu Abend gegessen hatte. An einem Tisch in der Nähe des Münztelefons. Die anderen Gäste, darunter auch die Berliner Touristenfamilie, hatten schon komisch geguckt, als er wieder und wieder vom Essen aufgestanden war und sich ans Telefon gehängt hatte.
    Nach dem Dessert hatte er noch einen Mokka bestellt und im Abstand von jeweils ein, zwei Zigaretten in der Carmerstraße angerufen, doch niemand hatte abgenommen. Er war bei jedem Fehlversuch nervöser geworden und hatte schließlich, als der Mokka ausgetrunken war, einen Cognac geordert. Und dann noch einen. Und noch einen. Irgendwann hatte er sich dann doch überwunden und in der Spenerstraße angerufen. Vielleicht war er inzwischen auch einfach nur betrunken genug, um einem Gespräch mit Greta entgegenzusehen. Er hatte seine Abneigung gegen Charlys Freundin für einen Moment hintangestellt und ganz höflich nachgefragt. Greta war weniger höflich gewesen, eher kurz angebunden. Aber sie hatte geantwortet. »Ist im Dienst«, hatte sie gesagt. »Keine Ahnung, wann sie wieder zurück ist.«
    Rath hatte ein Dankeschön gemurmelt und wieder eingehängt.
    Keine Ahnung, wann sie wieder zurück ist.
    Hieß das, Charly lebte immer noch in der Spenerstraße? Er hatte ihr doch die Schlüssel zur neuen Wohnung gegeben, hatte gedacht, sie würde schon einmal umziehen, würde sozusagen schon bei ihm wohnen, wenn er aus Ostpreußen wieder nach Berlin zurückkehrte.
    Falsch gedacht.
    Er hatte noch einen Cognac bestellt und sich den Rest des Abends in seinen Gedanken gesuhlt, bis er endlich betäubt genug war, um hinüber in sein Hotel und in sein Bett zu gehen.
    Auf ein Aspirin konnte er an diesem Morgen verzichten, eine kalte Dusche reichte, um ihn endgültig wach zu machen. Die Rezeption war verwaist, als er die Treppe hinunterstieg, er legte seinen Zimmerschlüssel einfach auf den blank polierten Tresen und ging hinaus in den sonnigen Tag. Die Musikkapelle hatte sich inzwischen zum Takt ihres Repertoires in Bewegung gesetzt. Das Marschieren beherrschten die Musiker eindeutig besser als ihre Instrumente. An der Bergstraße, an der Rath unter den Zuschauern stand, schwenkten sie militärisch zackig links um zur Goldaper Straße, dem Weg zum Festgelände. Die Menge am Marktplatz löste sich auf, die meisten Treuburger folgten der Kapelle wie die Kinder von Hameln dem Rattenfänger.
    Rath ließ sich mittreiben und klingelte auf halber Strecke bei Schuhmachermeister Kowalski, doch niemand öffnete. Als er den Park erreichte, hatten die Musiker sich auf der Bühne aufgestellt und spielten den letzten Marsch im Stehen zu Ende. Dann setzten sie sich auf die Stühle, genossen den Applaus der Menge und widmeten sich den Biergläsern, die man für sie, genau abgezählt, bereitgestellt hatte. Auf der Freifläche unten vor dem Kriegerdenkmal, das heute wie eine pompöse steinerne Bühne wirkte, standen zahllose Reihen Biertische bis ans Festzelt heran, aus dem immer wieder Kellner und Kellnerinnen mit voll beladenen Tabletts kamen und durch die Reihen gingen.
    An einem der Tische entdeckte Rath den Kriminalassistenten und bahnte sich einen Weg durch die Menge. Kowalski rutschte ein wenig beiseite und stellte ihm den Mann zu seiner Rechten als »Onkel Fritz« vor. Friedrich Kowalski war längst nicht so alt, wie Rath sich den Schuhmacher vorgestellt hatte, vielleicht Anfang vierzig. Der Onkel lud den Gast aus Berlin gleich zu einem Bier ein und ließ überhaupt keine Widerrede gelten. Rath fügte sich der masurischen Gastfreundschaft, holte sein Zigarettenetui aus der Tasche, um sich zu revanchieren, und die Kowalskis griffen zu.
    Die Zigarette tat gut. Kurz darauf kam das Bier, und die Musik begann wieder zu spielen, in einer Lautstärke, die jede normale Unterhaltung unmöglich machte. Rath versuchte, sich an den Lärm zu gewöhnen, und schaute sich um. Ganz vorne in der ersten Reihe erkannte er die blaue Uniform von Polizeimeister Grigat, neben zwei Männern, die unschwer als Pfarrer zu erkennen waren, katholisch und evangelisch Seite an Seite. Der Anblick von Kollar und Soutane beruhigte Rath, so schlimm schien der Katholikenhass hier in der Gegend dann wohl doch nicht zu sein. Am selben Tisch entdeckte er auch Landrat und Bürgermeister, wahrscheinlich hatten sich dort alle wichtigen Männer der Stadt versammelt, vom Gymnasialrektor über den Chefarzt des Krankenhauses bis zum Herausgeber der örtlichen Zeitung. Zwei Tische weiter saß die Touristenfamilie aus dem

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