Die Akte Veden
räuspernd in seinen Kaffee und trank einen Schluck.
»Ich mache einen Termin mit Ihrer Sekretärin aus«, sagte Loki. Er holte ein drittes zerknülltes Blatt Papier aus der Hosentasche, dieses Mal zog er es aus einer der Gesäßtaschen, reichte es dem Kommissar. »Da finden Sie die besagten Versicherungen, und drunter, wie Sie sehen können, eine Passagierliste. Kevin hat Deutschland am Tag vor seiner Vermisstenanzeige verlassen. Natürlich haben nicht die Gerbers selbst den Flug gebucht und bezahlt, das hat die liebe Großmutter in Schweden getan. Letztes Jahr ist leider der liebe Neffe der Gerbers an Darmkrebs in einer Hamburger Klinik verstorben, in der man sich Hilfe von einem Spezialisten erhofft hat. Ein tragischer Schicksalsschlag, der der Familie Gerber allerdings zugute kam. Denn raten Sie, was mit seinem Pass geschehen ist.« Wieder grinste Loki. »Er ist als verloren gemeldet worden. Sie sehen den angestrichenen Namen auf der Passagierliste, Lünsmann? Das ist der verstorbene Sohn von Frau Gerbers Schwester, die ebenfalls in Schweden wohnt. Es ist der Name, unter dem Kevin Deutschland verlassen hat.«
Erneut herrschte Schweigen.
»Geben Sie zu, dass es sich so verhalten hat?«, fragte Loki schließlich.
Die Gerbers sahen nicht auf, saßen noch immer mit gesenkten Köpfen da und klammerten sich aneinander. Ohne sich zu bewegen, sagte Herr Gerber leise: »Ich sage kein Wort ohne Anwalt.«
Loki nickte. »Die Beweislast ist ohnehin erdrückend. Ich würde sagen, Sie hatten das Pech, als Trittbrettfahrer auf den falschen Fall aufzuspringen, denn in diesem ermittle zufällig ich.«
Lünsmann legte die Zettel übereinander auf dem Tisch ab, strich sie glatt, richtete die Augen auf das Ehepaar und musterte sie. Sein Blick fand schließlich Loki. Die beiden sahen sich stumm an, dann stieß der Kommissar einen Seufzer aus und kam schwerfällig auf die Beine. Er bedeutete den Streifenpolizisten, aufzustehen.
»Frau Gerber, Herr Gerber, ich verhafte Sie wegen arglistiger Täuschung, Behinderung der Staatsgewalt, wegen vorsätzlichem Betrugs.« Er hielt inne. »Den Rest zähle ich jetzt nicht auf. Das Kaffeekränzchen ist damit beendet!«
Während sich Lünsmann zehn Minuten später auf den Beifahrersitz des Streifenwagens zwängte und die Beamten die Verhafteten auf die Rückbank des Wagens bugsierten, drehte Loki den Volvo in der Hofeinfahrt der Gerbers um.
»Wie fandest du mich?«, fragte er.
»Umwerfend. Aber du musst unbedingt am Spannungsbogen arbeiten.«
Sie grinsten sich an.
»Wie bist du innerhalb so kurzer Zeit an all diese Informationen gekommen?«, fragte Tim schließlich. »Sonst brauchst du für so einen Fall mindestens zwei Tage, allein schon, um auf die Rückmeldungen zu warten.«
Loki lächelte zufrieden. »Sie haben schlampig gearbeitet, die Gerbers. Amateure. Sie waren tatsächlich so kreuzdumm, sich über alle Einzelheiten per privater Nachricht über das soziale Netzwerk Stepbook mit der Großmutter auszutauschen.« Loki zuckte die Schultern. »Stand alles da drinnen, ich musste es nur nachlesen.«
Tim grinste und schüttelte den Kopf. Er reichte seinem Cousin eine Zigarette.
* * *
Chest saß auf seinem Bett, sortierte die Gedanken und hielt den Kopf leicht schief, sah ins Leere. Er saß aufrecht wie ein Gepard, der trotz – oder vielleicht aufgrund – seines Wissens um seine Schnelligkeit jederzeit bereit war, loszustürmen.
›Ich muss weiter zurück‹, sagte er.
Plötzlich wurde ihm bewusst, dass selbst Gedanken-Worte, welche er mit Hora tauschte, emotional sein konnten. Chest musste an das denken, was ihm sein Mentor einst in einem seiner endlosen, unzähligen Vorträge gesagt hatte: Worte sind nur Geräusche. Ein Wort selbst ist nur ein Laut, den dein Mund ausspuckt. Dieses Geräusch soll deinem Gegenüber erklären, was du fühlst? Ein Geräusch ? Haha! Niemals!
›Ich muss so weit zurück, wie es nur geht. Ich muss zuerst durch meine Kindheit‹, sagte er und horchte auf das, was ihm seine eigene Stimme verriet, nämlich nichts. Seine Stimme war tonlos. Nein, nicht tonlos – sie war tot. Selbst die Seelenlosen besaßen mehr Emotion in dem, was sie von sich gaben. So mochte sich die Stimme des Satans persönlich anhören.
›Wir müssen reden‹, antwortete Hora, ›von Angesicht zu Angesicht.‹
Chest schüttelte kaum merklich den Kopf. Sein Blick wanderte zur Tür, die ihn von seinem Mentor trennte und ihm die Sicht auf Hora nahm. Er wusste, dass Hora direkt
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