Die Akte Veden
vergessen? Es war sehr aufschlussreich.«
» Aufschlussreich ?« Tim seufzte. »Was hat er zu dir gesagt? Bevor er starb?«
Wieder das Grinsen. »Drei Worte: Chest , Hora und Stoff .«
Tims Hand, die gerade dabei war, eine Zigarette aus Lokis Schachtel zu ziehen, verharrte. Er starrte seinen Cousin an. »Chest?« Ein Nicken von Loki. »Das ist die Abkürzung von Chesters Namen!«
Loki legte den Kopf schief, aschte in den Übertopf. »Möglich.«
»Warum, bei Gott, sitzen wir hier noch so ruhig? Chester war es! Wir müssen-«
Sein Cousin legte ihm eine Hand auf den Arm und brachte ihn zum Verstummen. »Ganz ruhig, Johnny. Wir müssen gar nichts. Besagten Chest werden wir später besuchen.«
»Warum?«
Loki lächelte. »Wir konzentrieren uns jetzt vorerst auf die Familie Gerber. Hast du ausgetrunken? Können wir fahren?«
Tim packte die Tasse, trank den Kaffee mit einem Schluck aus und drückte die Zigarette in den Übertopf. Ihm war klar, dass er keine weiteren Erklärungen von Loki bekommen würde, dass ihm nur eines blieb: abzuwarten und mitzumachen. Er stand auf, schlüpfte in seine Turnschuhe und folgte Loki nach draußen.
Unzählige Schüler liefen über den Campus, kamen aus ihren Wohnheimen und erfüllten die Luft mit Lachen, Rufen und dem dumpfen Geräusch, das ihre Sohlen auf den Pflastersteinen hinterließen. Während Tim noch immer über den Schülersprecher nachdachte und sich nicht vorstellen konnte, dass dieser tatsächlich in der Lage sein könnte, mittels der Imagination Menschen zu Zombies zu machen, tauchte das Objekt seiner Gedanken neben ihnen auf. Tim hatte Mühe, ruhig zu bleiben, seinem Cousin hingegen fiel das gar nicht schwer. Loki schenkte dem Schülersprecher das Mundwinkel-Lächeln.
»Morgen«, sagte Chester. »Gut geschlafen?« Die eigentliche Frage dahinter war eindeutig: Was ist gestern passiert, dass ihr so plötzlich los musstet ?
Loki nickte ihm zu. »Sehr gut. Ich darf heute Abend wieder gegen neunzehn Uhr mit dir rechnen?«
Chester zuckte die Schultern. »Wenn Sie möchten.«
»Wunderbar. Dann also bis heute Abend.« Loki wandte sich ab und ging auf den Parkplatz zu. Er setzte sich hinter das Steuer, wartete, bis Tim eingestiegen war und fuhr vom Schulgelände.
Tim verkniff sich seine Fragen. Er kämpfte noch immer mit den widerstreitenden Gefühlen. Außerdem saß ihm der Schreck noch in den Knochen. Er hatte schlecht geschlafen. Mehr aus Trotz als aus Genuss zündete er sich eine Zigarette an, schwieg die ganze Fahrt über und sagte auch nichts, als Loki seinen MP3-Player an das Autoradio anschloss und die elektronische Musik durch den Wagen dröhnte. Und er war heilfroh, dass sein Cousin sich mit dem Musikhören begnügte und nicht dazu überging, alle paar Sekunden auf Pause zu schalten und einzelne Tonläufe zu kommentieren, wie er es sonst so gerne tat.
Tim war noch nie bei den Gerbers gewesen, aber er wusste von der Karte Lokis, dass sie etwas außerhalb der Innenstadt lebten. Ihn wunderte es deshalb nicht, in ein fast ländlich erscheinendes Wohngebiet zu kommen, in dem sich Einfamilienhäuser aneinander reihten. Am Ende einer dieser Straßen hielt Loki schließlich hinter einem Streifenwagen. Der Kommissar und zwei Polizeibeamte standen am Straßenrand und sahen ihnen zu, wie sie ausstiegen.
»Sie sehen müde aus«, sagte Loki.
»Sehr witzig.« Der Kommissar machte ein unwirsches Gesicht. »Ich hoffe, Sie haben den Bericht dabei. Ich will wissen, was Hansen zu Ihnen gesagt hat. Sie haben sich übrigens getäuscht. Hansen hatte nie etwas mit Drogen am Hut.«
Tim erinnerte sich schlagartig an den Geruch, den er am Tag zuvor nicht hatte einordnen können: die Ausdünstung von Drogen! Yannik hatte nach Chemie gestunken. Und Loki hatte es ebenfalls gerochen.
Lokis Blick war eisern auf das Haus der Gerbers gerichtet. »Wollen wir also?« Ohne auf eine Antwort zu warten, ging er voran, trat an die Haustür aus hellem Kunstholz und klingelte.
Tim ließ sowohl den Kommissar als auch die Polizisten an sich vorbeigehen und gab sich als Nachhut zufrieden. Er konnte die miese Stimmung Lünsmanns absolut nachvollziehen. Ihm war selbst nicht danach, zu so früher Stunde schon der Pflicht nachkommen zu müssen. Manchmal hasste er seinen Job wirklich. Und Loki.
Ein Mann Mitte dreißig öffnete die Tür, sah zuerst Loki überrascht an, dann die anderen. Sein Blick fand wieder Loki, ihm kam kein Wort über die Lippen.
Loki lächelte. »Guten Morgen, Herr Gerber. Dürfen
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