Die Akte
wundervolle Tragödie.
28
D as Taxi hielt an der Ecke von Fifth Avenue und Zweiundvierzigster Straße, und Grantham tat genau, was er tun sollte: er zahlte schnell und sprang mit seiner Tasche heraus. Die Fahrer der Wagen dahinter hupten und zeigten den Vogel, und er dachte, wie schön es doch war, wieder einmal in New York zu sein.
Es war kurz vor fünf Uhr nachmittags, auf der Fifth herrschte dichtes Gedränge, und er konnte sich gut vorstellen, dass das genau das war, was sie gewollt hatte. Sie hatte ihm ganz exakte Anweisungen gegeben. Fliegen Sie mit dieser Maschine vom National nach La Guardia. Nehmen Sie ein Taxi zum Vista Hotel im World Trade Center. Gehen Sie an die Bar, bestellen Sie sich einen Drink oder auch zwei, stellen Sie fest, ob Sie verfolgt wurden, und nach einer Stunde nehmen Sie ein Taxi und fahren damit zur Ecke Fifth und Zweiundvierzigste. Bewegen Sie sich schnell, tragen Sie eine Sonnenbrille und halten Sie unablässig Ausschau, denn wenn Sie verfolgt werden, könnte das uns beide das Leben kosten.
Sie verlangte, dass er alles aufschrieb. Es war ein bisschen albern, ein bisschen übertrieben, aber ihre Stimme ließ keine Einwände zu. Sie hatte Glück, dass sie noch am Leben war, sagte sie, und sie würde keinerlei Risiken mehr eingehen. Und wenn er mit ihr reden wollte, dann musste er genau das tun, was sie wollte.
Er schrieb es auf. Er kämpfte sich durch das Gedränge und ging so schnell wie möglich die Fifth Avenue entlang bis zur Neunundfünfzigsten, zum Plaza, die Stufen hinauf und ins Foyer, dann an der anderen Seite hinaus zum Central Park South. Niemand konnte ihm folgen. Und wenn sie auf die gleiche Weise vorsichtig war, konnte auch ihr niemand folgen.
Auch auf Central Park South herrschte dichtes Gedränge, und als er sich der Sixth Avenue näherte, ging er sogar noch schneller. Er bemühte sich zwar um Gelassenheit, war aber schrecklich aufgeregt bei dem Gedanken, dass er sie bald kennenlernen würde. Am Telefon hatte sie sich ruhig und methodisch ange hört, aber mit einer Spur von Angst und Unsicherheit. Sie war nur eine Jurastudentin, die nicht wusste, was sie tat, und wahrscheinlich würde sie in einer Woche tot sein, wenn nicht schon früher, aber jedenfalls war das die Art, auf die das Spiel gespielt werden musste. Gehen Sie immer davon aus, dass Sie verfolgt werden, hatte sie gesagt. Sie hatte sieben Tage überlebt, an denen Bluthunde hinter ihr her waren, also bitte tun Sie, was ich sage.
Sie hatte gesagt, er sollte an der Ecke der Sixth im St. Moritz verschwinden, und er tat es. Sie hatte für ihn unter dem Namen Warren Clark ein Zimmer reservieren lassen. Er bezahlte für das Zimmer in bar und fuhr mit dem Fahrstuhl in den neunten Stock. Dort sollte er warten. Einfach hinsetzen und warten, hatte sie gesagt.
Er stand eine Stunde lang am Fenster und sah zu, wie der Central Park dunkel wurde. Dann läutete das Telefon.
»Mr. Clark?« fragte eine Frauenstimme.
»Ja.«
»Ich bin’s. Sind Sie allein angekommen?«
»Ja. Wo sind Sie?«
»Sechs Stockwerke über Ihnen. Nehmen Sie den Fahrstuhl zum achtzehnten und gehen Sie über die Treppe in den fünfzehnten. Zimmer 1520.«
»Okay. Jetzt gleich?«
»Ja. Ich warte auf Sie.«
Er putzte sich noch einmal die Zähne, bürstete sein Haar, und zehn Minuten später stand er vor Zimmer 1520. Ihm war zumute wie einem Schuljungen bei seiner ersten Verabredung. Seit den Football-Spielen an der High School hatte er kein solches Lampenfieber mehr gehabt.
Aber er war Gray Grantham von der Washington Post, und dies war nur eine Story unter anderen, und sie war nur eine Frau unter anderen, also reiß dich am Riemen, Mann.
Er klopfte an und wartete. »Wer ist da?«
»Grantham«, sagte er zu der Tür.
Der Riegel klickte, und sie machte langsam die Tür auf. Das Haar war verschwunden, aber sie lächelte, und sie sah großartig aus. Sie gab ihm die Hand. »Kommen Sie herein.«
Sie machte die Tür hinter ihm zu und verriegelte sie wieder. »Möchten Sie einen Drink?«
»Gern. Was haben Sie?«
»Wasser, mit Eis.«
»Hört sich gut an.«
Sie ging in ein kleines Wohnzimmer, in dem der Fernseher eingeschaltet war, aber ohne Ton. »Hier herein«, sagte sie. Er stellte seine Tasche auf den Tisch und setzte sich auf die Couch. Sie stand an der Bar, und eine Sekunde lang bewunderte er ihre Jeans. Keine Schuhe. Überlanges Sweatshirt, dessen Halsausschnitt an einer Seite tiefer hing, so dass ein Träger ihres Büstenhalters zu sehen
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